Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Leidenschaft

Seit 15 Jahren bin ich inzwischen unterwegs. Damals, mit 18, waren es die Bayerischen Alpen, die mich aus der Fassung brachten. Ich plante Touren lang im Voraus, freute mich monatelang darauf und dachte, mit guten Wanderschuhen eine langfristige Investition getätigt zu haben.

Gestern sortierte ich meine gerade mal 1,5 Jahre alten Seile aus; Diagnose – Verschleiß. In fünf Tagen geht es wieder in die Alpen, doch nicht einmal das Land steht fest. Wahrscheinlich wird es mal wieder das häufig wetterbegünstigte schweizer Wallis – zum sechsten Mal dieses Jahr. Zusätzlich verbrachte ich seit dem Jahreswechsel vor 10 Monaten genau 32,5 Tage in anderen Bergregionen. Von der Südamerika-Reise abgesehen, waren es 14 000km für die An- und Abreise. Ein Hobby? Eine Leidenschaft! 

Spektakulär? Unspektakulär? Meine, glückliche Welt! (11/2013)

Vor wenigen Wochen stiegen wir über einen Gletscher. Zu zweit, zwischen großen Spalten, fast knietief spurend. Vor uns steilte sich die vergletscherte Flanke der Pointe du Zinal auf, eines einsamen Dreitausenders im Schatten der Riesen wie Dent Blanche. Hinter uns lag noch das Grau der Nacht.

Mein Partner fühlte sich nicht so gut, er wollte umdrehen. Ich fragte mich, ob ich nach dem langen Zustieg enttäuscht bin. Doch das einzige, was ich in mir selbst fand, war die Harmonie. Tiefe Freude, hier sein zu dürfen, die erste Spur durch den unberührten Schnee zu ziehen und die raue Schönheit der Berge zu sehen, sei es hier oder davor in den herbstlich gefärbten Hängen des Zinaltals.

Vor Jahren, unterwegs im November im Allgäu (11/2011)

Ich frage mich häufig, was eine Leidenschaft ist. Ist es der Ehrgeiz, etwas erreichen zu wollen und der Spaß auf dem Weg dahin? Ist es die Bereitschaft für etwas zu leiden, wie das Wort es vermuten lässt? Ist es schlichtweg etwas, was man höchst freiwillig immer wieder tut? Oder was man vermisst?

Ich denke, meine Wahrheit liegt woanders. Meine Leidenschaft hat nichts mit einer Suche, einer Flucht oder einem Ziel zu tun – auch, wenn diese zwischendurch eine riesige Rolle spielen. Meine Leidenschaft ist das Herzklopfen, welches in mir passiert, wenn ich es am wenigsten erwarte. Es ist das Glücksgefühl, welches an keine äußerlichen Voraussetzungen gebunden ist. Es versteckt sich im Nebel an einem Bergsee, in ersten Schneeflocken im Oktober, im Weiß der Höhen oder im Geruch des Waldes nach dem Regen.

Für die Außenstehenden ein nichts bedeutendes Schlechtwetterbild, für mich – Erinnerung an einen der glücklichsten Augenblicke meines Lebens….Warum? Keine Ahnung! (09/2007)

Eine Leidenschaft ist mehr als ein Hobby. Man wartet nicht auf die Möglichkeit, sie auszuleben, sondern schafft diese Möglichkeit selbst. Man entwickelt ein regelrechtes System, um die Lieblingsbeschäftigung zu unterstützen und zu ergänzen. Seien es Klettern, Trekking, Pflanzenkunde oder welche auch immer andere Spielart – die Basis ist immer die gleiche. Man spürt sie immer wieder plötzlich, wie aus dem Nichts und weiß erneut, dass man hier richtig ist.

So lange her, fühlt sich aber genauso an wie jetzt: Zwei Freundinnen unterwegs nach Venedig (09/2008)

Die Berge stören mein Leben gewaltig. Ohne sie hätte ich mehr Zeit für vieles, was ich sonst gern mache. Ich hätte besser im Beruf werden können. Meine Finger würden nicht durchs Klettern leiden und ich würde beim Training weniger auf die Effizienz achten. Ich würde Neues ausprobieren, vielleicht bereits Familie haben oder mich wissenschaftlich engagieren.

Doch dann stehe ich wieder auf dem verschneiten Plateau und das Herz klopft. Es ist zu spät etwas zu ändern, zu spät zu sagen „es wird ihr schon irgendwann langweilig in den Bergen“. Ich bekam diese Gabe, draußen, besonders im Gebirge, glücklich zu sein. Vielleicht wäre etwas anderes praktischer und mit weniger Aufwand verbunden, vielleicht sind wir für manche verrückte Außenseiter – das ist unwichtig. Das schlimmste Szenario für jeden von uns ist es, ohne dieses richtungsweisende Feuer leben zu müssen, ohne etwas, wofür man so richtig brennt.