Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Highlights

Eigentlich fahre ich nur in die Berge, um einen Cappuccino zu trinken. Einen Cappuccino neben meinem Zelt, wenn der Sonnenfleck auf dem Boden Meter für Meter näher kriecht. Wenn ich ausgeschlafen und erholt die Isomatte auf die noch feuchte Wiese, Steine oder Schnee lege und mich in die Daunenjacke kuschelnd auf den Tag freue. Ich wärme meine Hände an der Tasse, schaue in die noch dunklen Täler und begrüße den Tag und meine Freunde, die genauso verschlafen und lächelnd wie ich den Morgen genießen.

Es ist nur selten so, dass der Gipfel den Höhepunkt der Tour bedeutet. Unabhängig davon, wie schön der Aufstieg war, spüre ich dort oft nur eine Art Erleichterung, oder auch eine Sorge um den bevorstehenden Abstieg. Auch erinnert man sich häufig an ganz andere Augenblicke als man vermutet hätte. Über die Jahre sammelten sich jede Menge solcher besonderen Momente, „Magic Moments“ (ich gebe zu, den Begriff geklaut zu haben), die ich heute gern teilen würde.

Sonnenaufgang

Es ist der Wind, der den Morgen einläutet. Schneidend kalt, steigt er in der Morgendämmerung. Er lässt einen sich dem Schicksal der Anstrengung und des Frierens fügen, bis ein goldener Lichtstrahl plötzlich übers Gesicht streift…. noch unreif, nicht wärmend und so schwach, als ob würde er gleich wieder erlöschen.

Der Mensch ist ein Tageswesen (auch wenn ich es manchmal anzweifle). Die Sonne bedeutet das Leben; die Geburt eines jeden Morgens ist zum einen jedes Mal ein Spektakel und zum anderen weckt sie die Ehrfurcht, die Hoffnung, den Lebenswillen… Es gibt keinen glücklicheren Moment für mich am Berg als den Sonnenaufgang. An jeden einzelnen von ihnen kann ich mich erinnern und werde nach wie vor emotional, wenn ich daran denke.

Sternenhimmel mitten in der Nacht

Draußen zu schlafen ist mit das Schönste, was es gibt. Das bedeutet absolutes Vertrauen in die Umgebung, das „pure“ Outdoor. Trotzdem schläft man dann oft unruhig: Der Schlafsack ist eng, das Kopfkissen verrutscht, der Wind streichelt immer wieder ungewohnt das Gesicht…  Ich freue mich, schon mal mitten in der Nacht aufzuwachen. Noch halb-halb zwischen den Welten schwebend, schaue ich in die Tiefe des nächtlichen Himmels.

Der Himmel lebt. Er funkelt und bewegt sich, immer wieder huschen Sternschnuppen umher, der Mond macht die Nacht zum Tag oder die Wolken wagen sich vor die Sterne. Für mich ist es jedes Mal faszinierend, unsichtbar aus dem auf der Erde liegenden Schatten diesem Leben beiwohnen zu dürfen. Leider sind diese Augenblicke jedes Mal kurz: Gerade erst den Gruß ans All geschickt, verfalle ich wieder in den ruhigen, den Erdbewohnern nachts bestimmten Schlaf.

Zelten am Fluss

Wer schon einmal in einer trockenen Region unterwegs war, weiß, wie kostbar das Wasser ist. Stunden, wenn nicht Tage, wartet man darauf, das Plätschern zu hören. Unauffällig steht mein Zelt dann ein paar Meter abseits der Quelle, um den Tieren einen entspannten Zugang (und mir eine ruhige Nacht) zu gönnen.

Oder auch man ist unterwegs in einer wassergesegneten Gegend. Nach einer Flussquerung kommt die nächste, womöglich sind die Füße tagelang nass. Der einsetzende Regen trommelt auf der Zelthaut. Mein Zelt steht auf sicherer Anhöhe, aber erneut nur wenig vom Wasserlauf entfernt.

Ich liebe den Geräusch des fließenden Wassers. Sei es ein nachts nahezu donnernder Fluss, ein zarter, kristallklarer Bachlauf oder ein sich in der Abendkühle beruhigender Wasserfall – ihre Musik umhüllt und schirmt mich von der übrigen Nacht ab.

In Patagonien zelteten wir wochenlang an großen und mittleren Flüssen. Mich danach an die Stille der Nächte am Berg zu gewöhnen,  war eine  Herausforderung. Es hat das Lied der Natur gefehlt, die Zauber des Lebens am mächtigen Fluss.

Nac(h/k)tbaden

Du zeltest also am See, am Fluss oder Meer. Du fühlst Dich so wohl, dass Du die Kleider ablegst. Du wirst Eins mit der Natur, spürst jede Welle auf der Haut und den Sand zwischen den Zehen. Vielleicht bist Du noch nicht wirklich wach, oder der Tag liegt schon hinter Dir… Der Mond kann sich im Wasser spiegeln, ein warmer Wind wehen oder die aufgehende Sonne die fröstelnde Dich abtrocknen…

Ich badete um 3 Uhr nachts bei 14 Grad Wassertemperatur in Schottland – bei Meeresleuchten. Teilte einen kleinen, kalten, blauen Bergsee mit verwilderten Ziegen.  Stieg frühmorgens, bevor die Bremsen-Plage aufwacht, in einen See in Patagonien, so entlegen, dass ihn nur eine Handvoll Menschen bisher überhaupt gesehen haben. Zu zweit schwammen wir in einem spiegelglatten Waldteich in Lappland… Und seien es nur die Füße, die man nach einem langen Tag in einen Bach steckt: Das Wasser belebt und heißt uns draußen erst richtig willkommen.

(Zug-)Fahrt nach Hause

Wer von uns wünscht sich nicht ein wenig Luxus nach einer Tour? Genug oder abwechslungsreicheres Essen, trockene Umgebung, angenehme Temperatur und vielleicht auch einen Tag Pause für den Körper. Gleichzeitig möchte man das Erlebte verarbeiten, sich auf die Arbeit einstellen und wieder in „dieser“ Welt ankommen. Das alles lässt sich ideal mit einer Rückreise kombinieren, idealerweise per Zug, Bus oder Schiff.

Ich lege mich tief in den Sitz und ziehe die extra dafür mitgebrachten sauberen Socken an. Die Füße dürfen dann so weit am Vordersitz hochwandern, wie es im jeweiligen Land noch akzeptiert wird. Dann läuft der Soundtrek an…. Und während die Landschaft vorbei fliegt, versinke ich in einen friedlichen, halbdösenden Zustand, lasse die letzten Tage Review passieren und genieße die Ruhe. Schon wenige Stunden sind erholsam genug, um am nächsten Tag konzentriert und entspannt zu sein. Dauert die Reise länger, schlafe ich ein – egal, ob für zwei oder 20h… Ein Highlight wird dabei immer die Rückreise von der Isla Navarino bleiben: Nach insgesamt mehreren Wochen unterwegs erwischten wir während der Rückkehr per Schiff das „richtige“ patagonische Wetter und es regnete und windete nahezu die kompletten 36h durch. Ideale Zeit, um die Etappe abzuschließen und sich auf die Zukunft einzustellen.

Schlafsack-Stoff auf der Haut

Es ist geschafft – der Tag, das Abendessen, der letzte Gang nach draußen. Im Schlafsack verkrochen, entledige ich mich überflüssiger Kleidungsschichten und merke die Wärme sich ausbreiten. Es dauert gefühlt nur einen Augenblick, bis jemand daneben mich weckt weil schon Morgen ist, also gilt es, die Minuten vor dem Einschlafen auszukosten – mitten im Nirgendwo, umhüllt von Seide und den Daunen.

Stille im Schneefall

Habt Ihr schon gehört, wie die Schneeflocken fallen? Ein starker Schneefall hat einen besonderen „Klang“, einen Klang der Stille. Der entfernte Lärm einer Schnellstraße, die vorbeifliegenden Flugzeuge, das Rauschen des Waldes und die Schritte der Freunde – alles geht im Schneefall unter. Die Natur schirmt uns von der Umgebung ab; selten sind wir draußen so alleine als wenn der Schnee fällt.

Und natürlich macht der Schnee die Zauber der Weihnachtzeit in unserer Kindheit wieder präsent. Im Schnee fühle ich mich geborgen und glücklich, freue mich über die fallenden Flocken und genieße die leise Welt.

Wolkengucken 

Jetzt einmal im Ernst: Wie oft haben wir es schon gemacht? Wie oft sind wir so entspannt, dass wir es  uns „leisten“ können? Ob morgens nach dem Aufwachen, abends vor dem Einschlafen oder zwischendurch – den Wolken beim Ziehen, sich vermehren und auflösen zuzuschauen ist für mich mit das Glücklichste überhaupt.

Herbstfarben

Eigentlich sind es Farben, die nicht einmal existieren dürfen. Ungewöhnlich und intensiv, halten sie im Gegensatz zum Kitsch eines Sonnenauf- oder -unterganges tage- bis wochenlang. Gleichzeitig strahlen sie eine angenehme, helle Melancholie aus. Noch leuchtet es überall, die Natur bereitet sich aber bereits auf den Schlaf vor, ein Lebenszyklus geht zu Ende, die Ruhe kehrt ein.

Ich kann stundenlang sitzen und auf die rötlichen Wiesen schauen. Welkende Blumen und Blätter, vom Frost weiß angepinselte Heidelbeeren, überzuckerte Gipfel üben auf mich einen unglaublichen Zauber aus. Und obwohl ich alle Jahreszeiten gern habe, verliebe ich mich jedes Jahr erneut in den Herbst, seine Farben und seine Stimmung.

Die Limo danach

angekommen! Und sei es auch ein Busbahnhof.

Eine Tour ist erst zu Ende, wenn man wieder unten ist. Erst dann lässt die Konzentration nach, erst dann sprechen, lachen und albern wir miteinander rum und schalten wieder in den Entspannungsmodus. Plötzlich erinnert man sich daran, schon vor Stunden die Blasen versorgt oder das nasse T-Shirt gewechselt haben zu wollen.

Dabei gibt es für mich einen besonderen Augenblick – eine Flasche Apfelschorle, Limonade oder Cola aufzudrehen. Denn während der Körper genau das bekommt, was er gerade braucht – Flüssigkeit und Zucker – kommt auch der Kopf richtig an. So haben sich die süßen Getränke für mich zur angenehmen Tradition nach Unternehmungen entwickelt, die ich nicht missen möchte. Interessanterweise beschränkt sich diese Vorliebe aber tatsächlich auch nur auf die Touren – habe ich es nicht geschafft, die Flasche auf dem Weg zurück leer zu trinken, wandert der Inhalt meist einige Wochen später in den Abfluss.

_________________________________________________________________________

Auf jeder Tour gibt es Momente, die man später nicht missen will. An sich nichts Besonderes,  erscheinen sie uns danach in Träumen und Erinnerungen. Und so fahre ich schon bald wieder um die halbe Welt, nur um einen Cappuccino zu trinken…