Zeltgespenst

…ist unterwegs!

14. Sächsischer Mt. Everest Treppen-Marathon

21-22.04.18

24h-Teilnehmer vor dem Start. Foto: Treppenmarathon

„Falls sich medizinisches Personal im Zug befindet, bitte im Wagen XY melden!“ Die Stimme klingt beunruhigt; ich flitze hin und darf bald die Plombe des Notfallkoffers aufreißen. Ein Rettungsassistent ist auch gekommen – danke dafür. Die Situation ist nicht einfach; letztendlich entscheide ich mich gegen einen Notarzteinsatz, behalte die Betroffene aber im Auge.

….zumindest nicht mit dem ICE

Vor nicht einmal zwei Wochen erfuhr ich, dass ich an diesem Wochenende sowieso nach Sachsen muss. Um die Zeit dort vollständig auszunutzen und vielleicht endlich wieder einen Trail unter die Füße zu nehmen, suchte ich nach einer Veranstaltung….und traf dabei auf das Sächsische Treppenmarathon in Radebeul. 100 Runden Treppe rauf und runter, sprich sage und schreibe 8848hm jeweils im Auf- und Abstieg, das Ganze auf 84,4km Strecke. Und nun geht es also „ganz entspannt“ aus Leipzig nach Radebeul.

die Spitzhaustreppe

Die Spitzhaustreppe, durch schöne Weinberge führend, zählt 397 Stufen. Man startet als Einzelläufer über 24h, als Dreierseilschaft über 100 oder 50 Runden oder im Rahmen einer der weiteren Staffeln. Oder, noch besser, man startet gar nicht 😉 Ich stehe aber inzwischen mit 80 anderen am Start und summe zufrieden „Conquest of Paradise“, die Symbolmelodie eines großen Laufs in den Alpen.

die ersten Laufmeter

Schnapsidee. Ich bin in den letzten 6 Monaten vielleicht mal 50 km gelaufen. Insgesamt. Zwischendurch das Knie geprellt gehabt. Noch vor einer Woche an einer Sehnenreizung am Unterschenkel herumgedoktert. Nun verstehe ich schlagartig, worauf wir uns hier einlassen und überlege, ob es nicht langsam genug wäre – in der Runde ZWEI.

Yoda dich  verschlucken du sollst!

Treppe runter, ein paar Meter flach abwärts laufen, umdrehen, zurück und die Treppe hoch. Die Sonne brennt wie verrückt, die anderen rennen wie die Weltmeister und ich will weder mich anstrengen noch kämpfen – eine ideale Voraussetzung für einen 24h-Lauf…

anstrengend ist es für alle. Foto: Treppenmarathon

Runde 6. Ein schwacher Anflug eines „Runners High“ lässt die Absurdität der Idee und den bei allen tropfenden Schweiß kurz verblassen. Ich liebe das Laufen. Das Bergauf und das Bergab. Die Bewegung, die Aussicht, den Schluck Wasser zwischendurch. Apropos Wasser: Nach jeder Runde darf man sich ein Getränk in seinen markierten Becher wünschen, ob Wasser, Cola, Apfelschorle, Iso oder ein Gemisch aus allen. Super Service und die Rettung bei diesen Temperaturen.

Foto: Treppenmarathon

Durch den ständigen Belastungswechsel hält das schöne Gefühl leider nicht lange an und wie immer bei mir folgt darauf ein Tief. Spätestens in der Runde 12 bin ich mir sicher, nicht hierher zu gehören.

auf-ab-auf-ab…

Mit fehlt der Trail. Eine Strecke, ein Ziel vor Augen. Das Rauschen des Waldes, die Unebenheiten des Bodens, immer wieder eine andere Aussicht. Das Rundenlaufen ist zermürbend. Mein Respekt vor anderen Teilnehmern, die sich bewusst für diesen Lauf entschieden haben, steigt ins Unermessliche. Es ist nach wie vor heiß; das (vorsichtige…) Trinken ist super wichtig und langsam sollte ich mich dazu zwingen, zumindest ein Stückchen Banane zu essen (zu essen unter Belastung ist nicht einfach) – puh. Die Rundenzeiten haben sich bei 11-12 Minuten eingependelt (88,5hm runter/rauf und 840m) – das passt soweit, auch wenn andere deutlich schneller sind.

und seien es auch Chippendales…

18. Ich „rolle“ runter und steige gleichmäßig rauf. Immerhin hat sich inzwischen etwas Routine eingeschlichen; hier nehme ich zwei Stufen auf einmal, dort lohnt es sich in die Umgebung zu blicken, da ist der Schatten tiefer und kriecht mit jeder Runde näher an die Treppe heran – bald wird es kühler. Und die Muse des Laufens schenkt ein weiteres Mal eine kurze Endorphin-Euphorie, sodass ich es wieder richtig genieße. Merci!

25! Der erste Viertel ist (nicht ohne Mühe…) geschafft und ich gönne mir eine kurze Pause, einen Teller Nudelsuppe und bequemere Schuhe. Nach rund 15min geht es weiter.

Runde 27. Ganze 3 Minuten brauche ich nach der Pause, bis ich wieder triefend nass vor Schweiß bin. Der Magen macht nur bedingt mit; mir ist übel und selbst das Trinken wird problematisch. Die nächste Pause wäre für die 50ste Runde geplant – unendlich weit.

ok, ok…

30. Endlich wird es dunkel! Es wird Zeit für Musik, sie war schon immer mein Doping…

33… und dennoch geht es abwärts,  müde und unmotiviert. Rund 28km und 3000hm zurückgelegt, könnte ich mir nun Besseres vorstellen, als hier die Nacht zu verbringen.

schön wäre es!

Runde 50. Schluss! Ich schleppe mich die 397 Stufen hoch und hole meinen Becher aus dem Ständer ab. Oder…..halt. Kann sein, dass meine einzige Jacke auf der Strecke hängt?

51. Jemand fragt, ob ich es mir gut überlegt habe, jetzt schlafen zu gehen… Nun ja, 4 Stunden „mimimi“ haben zum Überlegen gut gereicht…

Ciao Leute. Nein, ich werde es nicht bereuen. Ich laufe, um Spaß zu haben, nicht, um zu leiden. Selbst wenn es anstrengend wird oder man einen der vielen Tiefs hat, kann es Spaß machen. Ich schaue mir die anderen an und bin beeindruckt, wie sehr sie für ihr Ziel kämpfen – ich selbst vermisse bei mir gerade das Wollen. „Ich muss es mir nicht beweisen“ ist dabei ein hinter schönem Gewand verstecktes Gift, das Schlimmste, das ich kenne. Zugegebenermaßen mache ich mir auch Gedanken um die Arbeit, wo ich am Montag möglichst fit sein sollte – eine Nacht ohne Schlaf wäre da definitiv suboptimal.

Willkommen 🙂
…und so schaut es drinnen aus

Als ich aufwache, scheint bereits die Sonne. Ich checke Bahnverbindungen nach Hause – nichts Gescheites am Morgen. Derjenige, der auch in meine Richtung reisen würde, hat sich bereits in der Nacht verabschiedet, wie auch etliche andere, starke Läufer. Ich lasse mir Zeit, genieße die Kühle des Morgens und plaudere beim Frühstück entspannt mit den Organisatoren und dem Rennarzt.

Hmmmm, jetzt könnte ich etwas Natur vertragen….vielleicht mal auf die Wiese legen oder gar wandern gehen….oder, wenn ich schon hier bin……ach komm, die Startnummer habe ich doch immer noch an, lass mal  `ne Runde …Treppensteigen.

Es läuft. Oder zumindest geht. Oder schleicht. Ich kann mich nicht beschweren, es tut nach wie vor nichts weh und der Schweinehund schläft noch tief und fest. Ohne Zeitdruck – die 100 Runden sind sowieso nicht mehr drin – spaziere ich runter und rauf und merke, wie sich immer mehr Menschen grüßen. Wir treffen uns im Schnitt jede 7 Minuten, kennen inzwischen unsere Namen, die Anzahl der Runden, die Laufgewohnheiten und die Schwächen. Man wird vermisst, wenn man nicht da ist, und an der Schulter angeklopft, wenn der Kopf zu tief hängt. Die Gemeinschaft wächst immer mehr zusammen und wird für mich definitiv eines der Highlights bleiben.

10-9-7-6. Exakt so viele Runden brauche ich, um das angepeilte Ziel, 83 Runden (83 – meine Startnummer), zu sammeln. Der Plan ist mehr als moderat, die Zeit reicht locker. Trotzdem werden es noch rund 8 Stunden werden, die meisten davon in der Hitze.

Ohne die THW wäre ich wohl geschmolzen…

Eile mit Weile. Auch wenn die inzwischen gestarteten Staffelläufer absolut beeindruckende Geschwindigkeiten hinlegen (Rundenzeiten von teilweise unter 5min!!!) und um mich, Schnecke, herum laufen müssen, will ich meinen gemütlichen Trott nicht aufgeben. Das, was ich gestern vergeblich gesucht habe – den Flow – ist wie aus dem Nichts da. Und bestätigt mir noch einmal meine Theorie: Selbst wenn es objektiv nicht einfach ist…. heiß, anstrengend, lang und was auch immer – man (ich) muss nicht kämpfen und leiden, um durchzukommen. Man muss nur Spaß daran finden, etwas zu machen.

Die Feuerwehr als Staffel unterwegs – alle Achtung. Und auch die anderen rennen wie verrückt
Einer der jüngeren Staffelläufer gibt Gas

Nach 83 Runden, eine gute Stunde vor Zielschluss, höre ich auf. Einige mehr wären noch sicher gegangen, ich freue mich aber über die Zeit zum zur Ruhe kommen und über die überraschend doch vorhandene Duschgelegenheit. Und bald sitzen die unglaubliche Gewinnerin über 100 Runden Yvonne Lehnert und ich schon wieder in der Bahn, das Abenteuer „Treppe“ hinter uns habend.

Ich habe fertig. Und Sonnenbrand.

Zusammenfassend bleibt zu sagen, dass die Veranstaltung durchorganisiert und super freundlich ist. Die Betreuer, ob an der Verpflegung, an der Strecke oder die uns regelmäßig  vor Hitzschlag rettenden THWler, verdienen eine besondere Auszeichnung. Radebeul selbst kenne ich jetzt auch 🙂 und fand die Ortschaft und die Umgebung sehr sehr hübsch. Das Sächsische Mt. Everest Treppenmarathon ist also eine durchaus supernette Veranstaltung, die mich allerdings ….nie wieder sieht 😀 Das ist nicht mein Ding, den ganzen Tag im Kreis zu laufen! Das macht mein Kopf nicht mit. Daher gilt meine Vorbegung allen, die es sich (wiederholt) antun, Wahnsinnszeiten laufen, nach 100 Runden weiter machen oder es überhaupt wagen. Ein lockererer 100km-Trail ist es nämlich definitiv nicht.

PS 83 Runden (ca. 70km/7400hm) reichten für das 5. Ergebnis unter 12 Frauen.