Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Klettern am Rotenfels

„Wie free solo, nur mit Seil“, „Ein Sturz muss ausgeschlossen sein“, „Standplätze können ausbrechen“, „Die Orientierung stellt ein ernstes Problem dar“ – man liest so einige nette Beschreibungen vom Rotenfels. Aber auch, dass es mit 202m Höhe die höchste Wand zwischen den Alpen und Skandinavien ist, zum Klettern lohnend und landschaftlich wunderschön. Was ist dran wahr, was Schauermärchen für Fremde?

Aussicht vom Rotenfels. Links hochziehend der Glockengrat

Dieses Jahr führte mich bereits in sieben verschiedene Klettergebiete – für einen „Nichtkletterer“ wie mich ganz schön erlebnisreich. Selbst alpine Routen wurden angetestet und zeigten, dass es jenseits des bei mir ansonsten üblichen III. Grades das Abenteuer erst beginnt. Nun wollten Philipp, ein erfahrener Alpinkletterer, und ich dem berüchtigten Rotenfels einen Besuch abstatten und die letzten Sonnenstunden des Jahres am warmen Fels genießen.

auf der Suche nach dem richtigen Weg. Das Seil war dran, ich schwöre… Foto: Philipp

„Achtet auf die Routenführung, sonst wird aus einer machbaren IV eine völlig unrealistische VI“ – der Tipp eines Freundes erzielte umso mehr Wirkung, je mehr ich dran dachte, dass sowohl er als auch seine Partnerin deutlich über dem besagten VI. Grad klettern. Wir einigten uns darauf, maximal defensiv zu sein und in einer der zahlreichen Routen im III-IV Grad zu beginnen.

Blick aus der Wand

Vom Bahnhof Bad Münster am Stein – den „Stein“ selbst sieht an übrigens majestätisch hinter der Ortschaft – ging es in flachen Serpentinen auf den Gipfel des Rotenfelses. Die Zustiege erfolgen hier von oben; „du kannst es schon von unten versuchen, aber es ist Privatgelände und auch lebensgefährlich“ – Kommentar des besagten Freundes, aber auch der allgemeingültige Tipp am Rotenfels.

„Hmm, hier ist eine Pfadspur und dann müssten wir laut Beschreibung in die linke Rinne? Also hier eher nicht…“ – Das Abenteuer beginnt bereits, wenn man anfängt, den „Einstieg des Zustiegs zum Einstieg“ zu suchen. Die vielen steilen, schuttrigen Rinnen laden in den ersten Metern zum Laufen ein, werden dann aber steil und abschüssig. Nach der Alpinskala durchaus ein T4 bis T5-Gelände.

den Abstieg gefunden – unten nicht der Pfad, sondern eine glatte Rinne

Wir haben Glück: Ein Einheimischer kommt auf uns zu und erklärt uns, wo es hier runter geht. Noch erzählt er uns, dass die Bergwacht und die Feuerwehr heute eine Übung fliegen und es viele Seilwindenbergungen geben wird. Wir sollten uns daher ein anderes Ziel als die Mittelwand wählen – zum Beispiel den Glockengrat. Wir stuften den Grat bereits vorher als ein Highlight ein und hatten nichts dagegen einzuwenden. Die Übung wird uns jedoch noch einige Stunden lang begleiten und der Hubschrauberlärm die Verständigung in dieser ersten gemeinsamen Mehrseillängentour deutlich erschweren. Letztendlich wurde aber natürlich „für uns“ geübt.

 

Glockengrat

Glockengrat, III+, 4 SL

Der Abstieg zum Glockengrat wird nach unten hin immer spannender, sauberes Gehen in einer plattigen Rinne ist gefragt. Es hat einige Abseilhaken, bei trockenem Untergrund ging es aber auch ohne Seil gut. Als es plötzlich steil wurde, schauten wir uns genauer um und sahen den beschriebenen „Standhaken rechts des Grates“. Einige Meter höher, noch im halbwegs Flachen, quert man auf Pfadspuren die Rinne nach orographisch rechts, kraxelt einige Meter an einem Baum vorbei hinab und quert weiter zum Haken – Achtung, der Weg ist einfach, wenns nicht so ist – suchen! Sonst ist man ganz schnell in einem ganz üblen Gelände.

Vom Stand „rechts vom Grat“ geht es um den Grat herum zum Stand „links vom Grat“, der der eigentliche Einstieg ist. Man soll auch direkt einsteigen können (IV), wir ließen es aber nach einem gescheiterten Versuch sein. Der Einstiegs-Stand „links des Grates“ hat zwei Haken – ein Luxus, wie wir später erfahren werden.

Los geht es! Bereits brüchig, hier aber noch relativ flach

Nun steigt man ein paar Meter eine gestufte Rampe schräg nach rechts hinauf, findet dabei einen Haken und steht plötzlich vor einer steilen, brüchigen Passage. Rechts davon findet sich ein Schlaghaken, der den Weg weist. Ja, dort hoch! Vorsichtig! Wenn ich mich nicht irre, gab es etwas später einen weiteren Haken, bevor es in einen ziemlich langen runout auf der Gratschneide ging. Dies war die Schlüsselstelle und ich Philipp ziemlich dankbar, dass nicht ich sie vorsteigen musste.

Die Beschreibung schickte uns eine kurze Verschneidung hinauf. Ich wählte die links des Standes, schlich hoch und war baff ob der Frechheit dieses Grates, neben dem lockeren Gestein auch dermaßen ausgesetzt zu sein.

Auf dem Grat. Foto: Philipp

Als Zwischensicherung legte ich irgendwann eine Schlinge – ziemlich provisorisch. Sonst kommt nach „nur“ etwa 25m die namensgebende Glocke, das Wandbuch und ein zementierter Haken – ich nutzte die Chance und rief „Stand“.

Sonne, schöne Herbstfarben und die schöne Aussicht
Beide Füße nebeneinander. Hält? Hält nicht?
weiter auf dem schmalen Grat
Kletterei mit Tiefblick

Noch zwei schöne, ausgesetzte, nicht ganz so brüchige wie davor Seillängen (oder gewöhnen wir uns dran?), in denen wir jeweils einen Haken gefunden und eine Schlinge gelegt hatten – und schon sind wir am Ausstieg. Kurz vor einer grasigen Einsattelung gibt es einen letzten Haken, von dem man je nach Wunsch noch die letzten Meter sichern kann bzw. sollte. Denn auch hier wäre das Ausrutschen – mit Kletterschuhen auf teilweise erdigen Tritten – fatal. Ist man oben angekommen, steht man am Gipfel-Geländer und wird von den, einen seit einer Weile beobachtenden, Wanderern begrüßt.

Die letzten Meter – ganz einfach, aber trotzdem nicht ohne
Ein Blick auf die Seilschaft hinter uns. Der Vorsteiger ist 75 J.a.!

 

Die Routen beginnen hier im Abstieg…

Wiesbadener Weg, bis IV+ (oder IV, A1)

Eigentlich hatten wir genug. Das hier ist kein Klettern, das ist ein Hochschleichen wie auf rohen Eiern. Das free solo-Feeling war durchaus vorhanden, gewürzt mit der Tatsache, dass wenn man fliegt, dann zusammen mit dem Partner. Doch wir haben zu lange geschlafen. Zu lange und zu gemütlich gefrühstückt und irgendwann fragte ich vorsichtig: „Meinst du, es lohnt sich noch, wie geplant das Gebiet zu wechseln?“

Den Abstieg zum Wiesbadener Weg haben wir schon am Vortag gefunden. Er war ausgetreten und bequem, zumindest von der letzten Steilstufe abgesehen. Diese hatte es in sich und ich zog die Kletterschuhe an. Sicherungsmöglichkeiten gab es keine.

 

Spaß! Foto: Philipp

 

Den Einstieg fanden wir also ohne Schwierigkeiten und bekamen von zwei einheimischen Seilschaften auch noch Tipps, wo der weitere Weg zu suchen ist. Wir losten aus, wer beginnen darf (die Gewinnerin natürlich!) und kletterten los.

Eine Platte! Erst brüchiges Zeugs und dann auch noch eine Platte! Laut Beschreibung soll man so gut stehen, dass man auch im Fall eines Griff- oder Trittausbruchs nicht stürzt. Was mache ich also hier, wo es nichts Gescheites zum Festhalten gibt?

Was wir jedoch zu Beginn noch nicht glauben wollten war, dass die Felsqualität hier um einiges besser als auf dem Glockengrat war, wortwörtlich nicht so gra(u)sig. Nach dem ersten Stand quert Philipp 10m nach links, dann geht es 15m hinauf und zurück nach rechts. Wer sich am ersten Stand für „geradeaus“ entscheidet, hat zwar einige Haken mehr, dafür aber auch deutlich schwierigeres Gelände in einer anderen Route – aufpassen!

 

Die Routenführung machte die Sache dann doch ein wenig interessant

Ist man nach der zweiten Querung um die rechte Kante geklettert, findet man dort das Wandbuch und einen bequemen Stand. Den braucht man auch, um Fotos zu machen – jetzt wird es steiler und schöner, vor allem aber bestens abgesichert.

In der Beschreibung lasen wir von einer „abdrängenden Platte“ – noch gruseliger kann eine Schlüsselstelle für mich nicht beschrieben werden. Kann eine IV+ Schlüsselstelle plattig und abdrängend gleichzeitig sein? Gespannt auf das, was kommt, kletterte ich vorsichtig los, fand die Platte, schlich drüber, genoss es und fragte mich, ob es das schon war. Nicht ganz, noch der erneut brüchige, steile Ausstieg, einige Meter im Schutt und man steht vor mindestens vier durchaus vertrauenswürdigen Haken zum Nachsichern und ist in zwei Minuten auf dem Wanderweg.

irgendwo im Bereich der kurzen Schlüsselstelle

Nun war es wieder langsam Nachmittag und es stand nur noch ein Programmpunkt auf dem Plan: Vor der dreistündigen Rückfahrt Pizza gegessen zu haben. Also verabschiedeten wir uns von netten Wanderern, mit denen man immer wieder in Kontakt kam, und spazierten gemütlich zurück nach Bad Münster am Stein.

Der Rotenfels war, wie schon einiges dieses Jahr, ein Abenteuer. Man kann sich an die Felsqualität gewöhnen, man kann einiges lernen („leises“ Treten!), man kann es aber auch lassen und woanders hin fahren. Denn als Fremder ist man mit den Bedingungen nicht vertraut und das Risiko, gerade außerhalb der wenigen „guten“ Routen, ordentlich. Ich denke nicht, dass es mich wieder zum Rotenfels zieht – es sei denn, eine Unternehmung in den Bergen das Klettern im absehbar brüchigen Gestein und entsprechendes Training erfordern wird. Trotzdem: Danke für das schöne Wochenende!

Wiesbadener Weg: Solange man ihn findet, durchaus zu empfehlen    Foto: Philipp

P.S. Was man zum Klettern in den obigen Routen braucht: Kletterhelm, 3 Exen, 2 Schlingen, ein paar Karabiner, auswendig gelernte Beschreibungen auch für die Abstiege und etwas Abenteuerlust

Was man nicht braucht: Mehr Exen, Keile/Friends, neueste ultracoole Bekleidung, klettertechnische Ambitionen