Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Junkerdalen März 2012

07.-23.03.2012

Nordlichttour „Junkerdalen“ – „Probieren Sie es mit anderen Suchbegriffen“

Es waren einmal zwei Wanderer, die sich nicht kannten. Berge und Seen machten sie unsicher und auch den Sommerfjell, wollten eines Tages aber den Winter im Norden sehen. Also bestiegen sie zum Kennenlernen einmal nachts den Brocken, biwakierten den Rest der Nacht bei realistischen (wie sich später herausstellte) -2°C-Bedingungen und freuten sich auf die große Reise. Tausende Fragen wurden den Erfahrenen gestellt, Ausrüstung angepasst und Nordlichtfotografie studiert; nur eins hatten sie glatt vergessen: Beim Wettergott einen Antrag zu stellen. 

Fakten:

Dauer: 13,5 Tage

davon Pausentage (ohne halbe): 3

Gesamtstrecke: 103km

Aufstieg: 4600m

Geschwindigkeit: 0,5-40km/h, meist um 2km/h

Sonne: 3×0,5Tage

Schnee (tagsüber und/oder nachts): 12 Tage

Tourengeher unterwegs: 0

zwei Personen_ zwei Wochen
zwei Personen_ zwei Wochen

SAS-Flug klappte perfekt und am selben Abend saßen wir im Zug nach Trondheim, den wir dort gegen einen nach Fauske wechselten. Vor allem dieser zweite Zug war äußerst komfortabel und man fühlte sich auch mit kurzen Ärmeln wohl. Nach etwa 16h Fahrt (für 199 NOK!) stiegen wir erwartungsvoll in Fauske aus und da der Bus erst am nächsten Morgen fuhr, kauften in Ruhe die restlichen Kleinigkeiten ein und suchten uns einen Biwakplatz. Es war ein schwacher Nordlichtschleier zu erraten, etwas Schnee sorgte für die richtige Stimmung… das Zelt wurde nicht aufgebaut. Gegen 4-5 Uhr morgens wurde es im Wald wegen dem Wind aber doch zu unheimlich und es wir wechselten in die Bf-Halle, irgendwann kam der Bus und um 11 Uhr standen wir startklar in Sulitjelma.

Im Bus waren außer uns noch drei junge Damen plus Hund, die top ausgerüstet für 16 Tage in den Sarek wollten. Ich konnte es nicht unterlassen sie zu fragen, ob sie nicht die „Baffin Babes“ sind. Antwort – „Wir haben zwar die gleichen Jacken an und kennen sie persönlich – aber nein, leider nicht. Nächstes Mal werden wir es aber auch gemacht haben!“  In Sulitjelma trennten sich unsere Wege; ich hoffe, sie hatten Spaß und sind gut zurück gekommen.

Die eigentliche Tour begann!!!…dachten wir. In Wirklichkeit quälten wir uns (und Material) noch ein paar km die Straße entlang, bevor es endlich ins Gelände ging.  Nach weiteren 1,5-2 Stunden mussten wir aber einsehen, dass das Wetter zum Wandern ungeeignet ist, und bauten blitzschnell das Zelt auf. Es regnete.

Morgen… Ein Märchen!!! Traumhaft schön stand der Wald ins dicke weiße Kleid gehüllt. Warme Sonnenstrahlen zauberten eine ganze Viertelstunde lang eine idyllische Stimmung, bevor wir zurück in die Realität geholt wurden: Keine Scooterspur mehr, eine Menge Neuschnee, viel Spaß beim Spuren!

In der ersten Stunde (hoch motiviert!) 1,5km zurückgelegt, dann glücklich über einen kleinen Abschnitt Straße gewesen und für den Rest des Tages einer Loipe gefolgt. Machte mich zwar nicht glücklich, aber im Vergleich zum Morgen „etwas“ schneller. Eine windige Nacht, wobei während wir das Zelt aufbauten der Wind um 90° drehte und genau gegen die breitere Zeltseite blies. Egal, das muss es abkönnen. +1°C, Neuschnee, eine Menge Kondens.

Tag 3. Die Loipe konnte ich nicht mehr sehen!!! Zwar war heute niemand mehr unterwegs, aber dennoch. An einer verschlossenen BOT-Hütte endete sie dann endlich und die eigentliche Tour begann… dachten wir. Aber erstens kamen wir bei den Neuschneemengen kaum voran und zweitens verschlechterte sich das Wetter zusehends. Jetzt weiß ich, wie es ist, (fast) blind zu sein… Skibrille beschlägt von innen und wird nass von außen, ohne sieht man eh nichts, Schnee(matsch) fliegt waagerecht und die Lust weiter zu gehen schwindet. Über den See (Balvatnet) konnte man nicht, Sachen waren nass, immer noch Plusgrade. Irgendwas machten wir falsch.

Zwischen den Hütten am See ließe sich ein Windschutz finden. Es war gerade mal 15 Uhr, wir sind etwa um 11 los. Der NP-Inforaum war zu, ließ sich aber öffnen (ohne dass etwas kaputt ging). Es ist eine Notunterkunft, normalerweise müsste man ein Glasscheibchen einschlagen um zum Schlüssel zu gelangen.  Eine Notsituation war es nicht, in den folgenden zwei Tagen und drei Nächten waren wir aber ausgesprochen froh, nicht im Zelt zu liegen.

Nächste 65h bestanden aus Sachen trocknen, Schiffe versenken, etwas Sport machen, Schnee für den Tee holen, noch mal Sachen trocknen usw..  Zwei Meter „um die Ecke“ waren ein Kampf, daran werde ich mich wohl noch lange erinnern. Als es etwas besser wurde, gingen wir kurz spazieren, danach war wieder alles zu und nass. Das Warten fiel nicht leicht, 7km über den See waren uns bei diesen Verhältnissen aber doch zu heikel. Wie wir später erfahren, nicht nur uns.

Startversuch im Schönwetterfenster – failed

6. Tag, da konnte die Tour endlich richtig beginnen… dachte ich. Als wir voller Vorfreude packten, klopfte es aber erstmal an der Tür. „Are you OK???“- zwei Ranger auf Schneemobilen schauten uns und das Chaos im Zimmer an. Sie sind gestern angekommen, wollten aber bei dem Wind nicht den See queren und übernachteten in der Hütte ein paar Meter weiter. Die Unterhaltung war sehr nett und freundlich; wir wurden fotografiert als erste, die den Inforaum im Winter (quasi Notfall) nutzen und vor Lawinengefahr gewarnt.  Noch hieß es „es wird hart, die Täler zu spuren“.  Was??? Kann es noch schlechter gehen als vor und nach der Loipe?

Sie zogen eine Spur über Balvatnet zur Argaladhytta und wir folgten ihr, „richtig beginnen“ wurde also noch einmal verschoben. Dafür war das Wetter zumindest vormittags herrlich und wir kamen in der Spur gut voran. Und schön war es, richtig richtig schön!!!

Argaladhytta ist eigentlich ein Muss. Ich ließ mich dazu überreden, dort zu bleiben, und muss zugeben, dass es doch sehr fein war.

In der Nacht hat es (natürlich) geschneit. Die Spur war zu Ende, wir durften ran. 2km/h waren dabei gar nicht soo schlecht!

Dieser Horror kostete Kraft und Nerven. Noch tiefer konnte meine Motivation nicht sinken.

Dann wurden die Hänge jedoch flacher und es sah so aus, als ob könnte man abkürzen (auf- und absteigen und sich dadurch ordentlich Waldstrecke sparen).  Also alle Reißverschlüsse auf und los auf den Berg. Schritt rauf -> Rutsch runter, jede 10 Schritte Pause und vielleicht 1m an Höhe gewonnen. Tja, Bescheidenheit lernt man hier!

Weiter ging es etwas spannender: Wir versuchten die Pulkas zu zweit zu ziehen, dann zu schieben, per Flaschenzug hochzubekommen und stiegen im Endeffekt mit (einer Art) Rucksäcken auf, zwei- bis dreimal bis alles oben war. Aber es hat Spaß gemacht!!! Die (eigentlich verrückte) Idee, das Bergauf (endlich richtig J),  die Aussicht von oben! Das Zelt wurde so eingegraben, dass auch ein Orkan ihm nichts antun konnte. Dann ein gemütliches Kochen mit Kopfkino („in die Richtung müsste doch eine schöne Aussicht sein und hinter den Wolken gibt es bestimmt Nordlichter“) und ab in den Schlafsack. Ach ja, es schneite wieder ziemlich stark und war immer noch um 0°C.

Was wir am Morgen sahen, lässt sich vermuten. Schnee, viel Schnee und weiter nichts, auch keine Aussicht übers Tal. Es ging weiter rauf und runter im Wald, jeder Meter war anstrengend und wir wünschten uns nichts weiter, als den Kahlfjell. Oder doch, vielleicht noch ein paar Grad weniger!!! Aber gut, ein bisschen schön war es auch. Und so leise…

Später wieder starker Wind, wieder heftiger Schneefall. That`s life.

In den Fjell haben wir es geschafft, für 3km Luftlinie aber 6h gebraucht. Der bis dahin erträgliche Wind frischte wieder auf, außerhalb des Waldes sah man nichts mehr. Erst recht nicht die Hänge über einem… Also drehten wir uns um 180° und marschierten zum letzten als sicher eingestuften Lagerplatz, den wir gesehen haben. Am Waldrand… Zelt eingraben, nichts kochen, tot stellen.

Fjell!!! Es spurt sich besser, es macht mehr Spaß. Die Sonne leuchtete eine ganze halbe Stunde durch die Wolken durch; eine schöne Lichtstimmung (vor allem durch die Skibrille, die ab jetzt zur rosa Brille erklärt wurde).

15min Sonne!
30 min Sonne!

Auf dem Programm – Höhenmeter. Lawinenlage war kritisch; in den Alpen würde ich bei diesen Verhältnissen am Kamin sitzen bleiben (viel Neuschnee, es bilden sich Risse, starke Verwehungen, Setzungsgeräusche), hier sind aber einerseits die Steilhänge aper, andererseits die von uns zu gehenden definitiv unter 30°.  Es machte sogar Spaß, ich fühlte mich zu Hause.  Am Sattel waren wir noch fit und wollten weiter, aber man sah nicht, wohin. Der Wind wird noch mal stärker. Auch nach GPS gehe ich so keinen Schritt weiter, also solange wir lawinensicher sind wird gezeltet. Wieder sturmfest machen; graben geht schlecht, dafür haben wir einen großen Stein als Windschutz.

Als das Zelt steht (betonfest!), legt sich der Wind und es wird eine klare Nacht… Für mich der schönste Abend der Tour: kälter (-6°C), trocken, leichte Nordlichter (leider nicht ausreichend hell für Fotos)…

10. Tag: -10°C im Zelt und blauer Himmel!!!!!!!!!! Das ist nicht schön, das ist genial!!! Der Schnee trägt besser, das verspricht ein besseres Vorwärtskommen. Einfach WOW, wir sind überglücklich!!!

Und dann fasste ich meine Schuhe an.  Ich war so blöd, sie gestern aus dem Schlafsack rauszuwerfen, weil es zu eng/unbequem mit diesem „Nasskaltkissen“ war. 20min nach dem Anziehen (..zensiert..)  hatte ich mehr Körperteile als das Nervensystem meldete. Also erstmal Zehen reanimieren und nur unmittelbar vor dem Loslaufen wieder anziehen. Es gibt Schöneres!

Ach ja, noch brach eine meiner Schneeschuhbindungen! Vermutlich bin ich beim Ausgraben mit der Schaufel dagegen gekommen, jedenfalls passen sie jetzt nur ab Größe 45…

ohne Schneeschuhe kommt man hier nicht weit…

Aber ansonsten war der Tag schön 🙂 Leicht absteigend legten wir viele Kilometer zurück und genossen die Gegend. Die Sonne verschwand zwar und es fing wieder zu schneien an, aber etwas anderes haben wir ja auch nicht erwartet…

Den nächsten Tag verbrachten wir in der Skogly-Hütte (privat, offen, nicht bewirtschaftet). Vom Wetter her wäre es auch weiter gegangen, so schön, dass es uns raus gezogen hätte, war es aber wiederum nicht. Essensvorräte wurden vernichtet, Sachen getrocknet und Kräfte für den nächsten Tag gesammelt. Noch stellten wir (wie schon Nächte zuvor) jede zwei Stunden den Wecker an, um  evtl. keine Nordlichter zu verpassen, jedoch hat es in der Nacht  – was? – geschneit, natürlich. Wie denn sonst…

Warm, grau, trocken, kaum Wind. Passt! Und der Schnee trägt!!! Als besonderes Highlight sahen wir einen Luchs, aber auch die Strecke insgesamt fand ich sehr schön.  Der Eingang ins Rykkedalen sah genial aus, über einen See streifte der „Sonnenwind“ und ein Gipfel ließ mich vor Aufstiegslust hüpfen (da muss ich noch hoch!!!), doch der verschwand bald im Schneestreiben.

mein Partner wartet, während ich einein Hügelgipfel mitnehme
mein Partner wartet, während ich einein Hügelgipfel mitnehme

Wir kämpften uns durch ein gekuppeltes Gelände durch und stellten fest, dass es mit einer 75er-Karte so gut wie unmöglich ist, der Ideallinie zu folgen. Viele Hügel waren einfach nicht drauf… Noch ein paar Stunden nach dem Navi und es wurde unser letztes Lager auf einer Kuppe mit einer wunderschönen Aussicht errichtet… Der Abend war warm und ruhig (wie schnell ändert sich hier das Wetter!!!); wir schliefen unter freiem Himmel  nach 9,5 Stunden (ca. 600hm und 17 km) unterwegs sofort ein.

2,5km Luftlinie zur Hütte, nur noch Abstieg – das ist doch nichts. Wir blieben noch ewig in Schlafsäcken liegen (wann habe ich zum letzten Mal so entspannt in den Himmel geschaut?) und genossen den Morgen. Was dann kam… ließ sich ehrlich gesagt erwarten (a bisserl zu steil) „Das dürfen wir aber keinem erzählen“ – mein Partner. Das mach ich auch nicht 😀

Sage nur, 500m/h 😉

Dass wir an der Hütte erst um 18 Uhr und im ordentlichen Schneefall erreichten, wunderte keinen. Die Statskog-Hütten sind offen und gratis, doch diesmal bekamen wir die Tür auch nach drei Versuchen nicht auf. Gesichtsausdruck änderte sich. Es schneite Regen. Doch wie so oft half grobe Gewalt – die Tür klemmte nur.  Sie ging auch nicht mehr zu, bzw. das trauten wir uns nicht solange wir wieder rein wollten. Aber egal, die Sachen trockneten trotzdem gut, es wurde alles gewaschen, was sich waschen ließ (u.a. Haare, was für ein Luxus!!!) und alles für die Fahrt vorbereitet.

Tag 14. Von der Hütte ging eine Scooterspur; wir rätselten, ob das nicht die gleichen Ranger waren wie am Balvatnet. Aber noch viel wichtiger: Wo ein Scooter lang kann, kommen  wir auch runter!!! Und zwar mit einer nicht kleineren Geschwindigkeit 😉 Schneeschuhe als Bremse; auf die Schlitten, fertig, los! Eine kurze Zeit später landeten wir in den Pfützen des „Polarcamping“s, 300hm tiefer. Das war es…

 Oder doch nicht ganz. Noch waren wir ja nicht am Bahnhof. Die ca. 12km nach Lönsdal ließen sich zwar auch gehen, aber es wäre knapp geworden. Der Schulbus war bereits weg. Im NP-Zentrum hieß es „es ist günstiger den nächsten Zug nach Oslo zu nehmen, als ein Taxi zum Bf“, wir sollten besser auf dem Parkplatz versuchen zu trampen.  Na dann… erstmal den Müll weg schmeißen. In diesem Augenblick kam jemand fröhlich auf uns zu und zu unserer Überraschung hörten wie wieder das freundliche „how are you?“ von einem der beiden Ranger. 10 min später kam er mit einem Kollegen und meinte, die beiden hätten je einen Platz im Wagen, würden uns aber nach Lönsdal bringen!!! Ich dachte, ich höre nicht recht. Aber ein paar Minuten später (und um ein paar interessante Infos reicher!) waren wir tatsächlich am Bahnhof! Danke, Jim!!!

3,5h bis zum Zug, dann hieß es „macht es euch nicht zu gemütlich; wir hatten hier schlechtes Wetter (ach was) und die Linie ist gesperrt, ihr müsst umsteigen in Mo i Rana und danach noch mal“. Ein paar Stunden später hieß es „Passagiere nach Oslo, nehmen Sie den Bus Nummer „2 leg(???)“ nach …??? Bangkok? . Wir haben es gewagt 🙂 Voller Vertrauen in NSB, schlief ich direkt ein; mein Partner erzählte dann Horrorgeschichten über einen frischen Erdrutsch auf der E6 usw..

E6, Norwegens wichtigste Asphaltader

Zug nach Oslo wartete auf uns (mind. 40min!) in Berkåk südlich von Trondheim. Wir zogen um; die nächste von mir wahrgenommene Station war Oslo, ganz pünktlich übrigens. Aus und vorbei!!!

Jetzt war es das wirklich, von meiner Oslo->Deutschland->Spanien Rückreise mal abgesehen. Und ich will da wieder hin. Ich muss da wieder hin!!! Aber irgendwie bin ich mir sicher, nächstes Mal durchgehend -35°C zu haben…

gen Süden…

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