Zeltgespenst

…ist unterwegs!

UTMB-2016: DNF

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Chamonix, 30m von der Finishgerade des UTMB entfernt. Es ist laut – die Zuschauer geben ihr Bestes – und ordentlich heiß. Immer wieder kommen Läufer an, die meisten mit überraschend konzentriertem Gesichtsausdruck und ebenso überraschend rundem Schritt. Ich sitze, inzwischen ausgeschlafen und als Teilnehmerin nicht mehr zu erkennen, im Schatten und applaudiere aus etwas Entfernung den Ankommenden – ein klarer DNF-Fall. Diesmal also: Ein etwas anderer Laufbericht.

UTMB – ein der vielen traumhaften Momente

UTMB, DNF – was ist das?
UTMB =  Ultratrail du Mont Blanc, 170km/10000hm/max. 46,5h
DNF = did not finish (der T9-Vorschlag hieß gerade „died, not finished“- auch ok :))

Ausnahmestimmung in Chamonix
kurz vor dem Start

Wie lief es? 
Die ersten 31km/1500hm lief es super. Ich war für meine Verhältnisse schnell (5h), langeweilte mich aber trotzdem während der Anstiege (überholen kann man zu Beginn noch schlecht). Die nächsten 20 km gingen, wurden aber etwas anstrengender. Kilometer 50-70 waren spektakulär was die Landschaft, aber bescheiden, was den Spaß angeht, besonders der steile Abstieg nach Courmayeur. Nach einer Pause in Courmayeur ging es bei ordentlicher Hitze weiter; der Aufstieg zum Ref. Bertone war für alle ziemlich hart, für mich ging es jedoch noch (weil Aufstieg). Der flache Weg zum Ref. Bonatti hat mir jedoch den Rest gegeben und einige Kilometer danach habe ich aufgehört.

nur noch Minuten bis zum Start!

Wann genau bist du ausgestiegen? 
In Arnouvaz, nach 97km und 5700 Hm.

Krank geworden?
Nein, diesmal top gesund. Selbst die aus Peru importierten Bazillen hielten sich zurück.

Hat etwas weh getan?
Jaein. Füße (Blasen), Knie, eine Leiste – mehr als üblich, aber nichts medizinisch Relevantes und nichts, um allein deswegen abzubrechen.

die faszinierenden Momente der Nacht, leider schwer einzufangen: Lichterkette der Stirnlampen
Verpflegungspunkt La Balme, 39km/2000hm, kurz nach Mitternacht

Nicht fit genug?
Zumindest nicht direkt. So gut im Aufstieg wie jetzt war ich noch nie – danke ans „Höhentraining“ in Peru.
Insgesamt ging es mir selbst beim Abbruch noch konditionsmäßig besser, als letztes Mal an der gleichen Stelle.

Schlecht vorbereitet?
Ja. Mein letzter Ultra liegt 20 Monate zurück, seitdem gab es nur 2x100km (2015) und 2x70km gewandert (2015, 2016). Zwar weiß ich noch „wie es geht“, aber der Bewegungsapparat gewöhnte sich ab.
Außerdem lag der Schwerpunkt im letzten halben Jahr klar beim Klettern und nicht beim Kilometersammeln. Dazu gab es im letzten Monat zwar jede Menge Höhen- aber keinen einzigen gelaufenen Meter. Und gerade das (flache) Laufen funktionierte gar nicht.
Das ist natürlich nicht erst seit gestern bekannt, antreten wollte ich aber trotzdem.

Die Vorbereitung ist also der Grund?
Ich denke, nur ein, wenn auch ein wichtiger, Faktor.

um zu laufen, gerade flach, muss man – laufen!

Sonst noch Probleme gehabt?
Ja, vor allem das Schlafenwollen. Sobald es dunkel wurde – eine Zeit, auf die ich beim Laufen sonst sehnsüchtig warte – begann ich in Bewegung einzuschlafen. Zeitweise erlebt es jeder, so schlimm wie diesmal kannte ich es aber nicht. (Ärgerlicherweise verlor ich dazu unterwegs meine Kopfhörer und hatte nicht einmal die Möglichkeit, Musik zu hören). Das führte dazu, dass ich eine Stunde der Zeit vor dem Besenwagen geopfert und nach rund 50km Strecke etwas geschlafen habe. Das war die beste Entscheidung überhaupt und fühlte sich wie das komplette „Reset auf Werkseinstellungen“ an, leider nur für eine kurze Zeit. Danach ging zwar die Sonne wieder auf, ich wollte aber immer noch nur eins – schlafen. Einigermaßen durch den Vormittag gekommen, döste ich noch eine halbe Stunde in Courmayeur; vor noch einer Nacht ohne schlafen zu dürfen graute es mir aber trotzdem.
Bei näherem Betrachten der letzten Tage beziehungsweise Nächte wundert das kaum: Von den sechs Nächten vor dem Start verbrachte ich zwei im Flugzeug, eine im Bus und eine im Zug (die letzte vor dem Start). Obwohl ich mich unterwegs recht gut erhole, war es insgesamt doch zu viel Aktion und vor allem zu wenige Ruhestunden. Schlechte Planung, ließ sich aber nicht vermeiden – die Priorität war mit Peru-Urlaub klar gesetzt.

Weitere Probleme?
Die Hitze hat allen zugesetzt.
Ansonsten keine.

warm!

Wie sah es eigentlich mit der Motivation aus?
Schwierige Frage.
Die Lust, mich so einzubringen wie beim letzten Mal hatte ich nicht – das ist nur einmalig möglich und es sollte auch ohne so einen Engagement gehen. Ebenfalls fand ich es schwierig bzw. sinnlos mich zu motivieren weiter zu machen, als es sich abgezeichnet hatte, dass mir die ganze Strecke diesmal zu lang wird. Dennoch habe ich seit dem Moment als es deutlich wurde 27km durch die Mittagshitze zurückgelegt – ausreichend Zeit um nachzudenken.
Zusammenfassend kann man sagen, dass ich schon mal motivierter war. Daran gescheitert hat es aber nicht – stünden die Chancen insgesamt etwas besser, hätte ich weiter gemacht. Und die zurück gelegte Strecke ginge ohne eine ordentliche Motivation auch nicht.

Willst du es wieder und besser machen und noch einmal kommen?
Ich weiß es nicht. Wenn ich wieder an mehr Ultras teilnehme und „mittendrin“ bin – warum nicht? Wenn nicht (Zeitfrage, u.a. Klettern ist sehr zeitaufwändig) – eher nicht. Mit 100km könnte ich mich aber nach wie vor gut anfreunden, gern mit (noch) mehr Höhenmetern.

ein dieser unvergesslichen Momente beim Laufen in den Alpen…

Falls doch wieder UTMB: Würdest du (noch) etwas anders machen?
Von der laufspezifischen Vorbereitung abgesehen:
– Kopfhörer sicher verstauen! Musik ist mein Doping…
– an Vaseline o.ä. denken – habe glatt vergessen, dass es so etwas gibt
– mehr erprobtes Essen mitnehmen. Zwar gibt es beim UTMB recht viel und das meiste davon kann ich (inzwischen) gebrauchen, aber ein paar einfache Gummibärchen mehr hätten das Leben wesentlich angenehmer gemacht
– irgendwelche Wasserzusätze für etwas Geschmack überlegen/testen. Nach über 10l Wasser (und 2-3l Cola und Elektrolytengetränk) konnte ich es wortwörtlich nicht mehr riechen
– UTMB ist ein klarer Grund Französisch zu lernen! Sonst ist man im riesen Pulk, aber ziemlich einsam unterwegs

Wie war es denn insgesamt auf der Strecke?
Genial. Im Gegensatz zum letzten Mal genoss ich die Landschaft richtig. Wir hatten einen traumhaften Abend und auch der Morgen am Col de la Seigne war unglaublich schön – eine Wolkendecke unter einem. Dort erwartete uns jedoch eine böse Überraschung: Eine Verlängerung der Strecke mit genügend Höhenmetern und technischen Passagen (lockeres Geröll, Blockgelände, Schnee).

Und die Teilnehmer?
Die meisten beim UTMB sind Franzosen. Deswegen war es für mich, die keine zehn Worte Französisch kann, schwierig, einen Gesprächspartner zu finden. Irgendwann bildete sich jedoch eine tolle internationale Gemeinschaft, die aufeinander aufgepasst, sich gegenseitig unterstützt und unterhaltet hatte. Mein besonderer Dank gilt Stefan aus Krefeld, der Gruppe spanischer Feuerwehrleute – wir hatten Spaß!, dem Katalanen, der „nur die Finisherweste wollte, aber nicht laufen“ und dem Aris aus Indonesien!

kurz vor Refuge Bonatti – an sich schöne Strecke, aber flach und zieht sich

Noch etwas Positives?
Ich habe das Drumherum diesmal richtig wahrgenommen und genossen – das war bei Wettkämpfen bisher seltenst der Fall. Und im Gegensatz zum letzten Mal unterschied ich die Teilnehmer diesmal nicht anhand ihrer Schuhe und Waden, sondern immerhin anhand der Rucksäcke und Kappen – die (meine) Kopfposition war definitiv eine andere!

Der schönste Augenblick?
Mit Fanta und Hamburger in der Hand aufs Feldbett in Chamonix zu fallen! Aber auch der Tagesanbruch am Col de la Seigne.

der neue Tag ist da!

Und das Gegenteil? 
Nach einer Stunde Tiefschlaf aufzuwachen und mit Erschrecken festzustellen, dass ich a) mitten in irgendeiner Veranstaltung bin und b) noch nicht einmal 1/3 der Strecke geschafft habe!
Wie fühlst du dich eigentlich aktuell?
Noch etwas ungelenk, aber gut und vor allem endlich ausgeschlafen….

Wie geht es weiter?
Gleich in den Zug, morgen früh bin ich in Deutschland und gehe direkt zur Arbeit. Am ersten Abend nichts Besonderes, am zweiten klettern – und weiter wie immer…

Unbequeme Frage: Bereust du es eigentlich?
Nein! Klar ist es nicht angenehm, der Strecke warum auch immer nicht gewachsen zu sein. Aber es gibt nicht viel, was ich bereuen kann:
– das Frühjahr mit der Herausforderung, das Kletterkönnen möglichst voran zu bringen, war toll – dass da fürs Laufen weniger Zeit blieb, ist halt so
– der Urlaub in Peru hat sich definitiv gelohnt
– die Lebensplanung in den letzten zwei Jahren war generell besonders und vom klaren Prioritätensetzen geprägt – sollte es wieder besser passen, nehme ich wieder an mehr Ultras teil
– dass ich nicht 100% erschöpft aufgegeben habe, sondern nur zu 98,5%, war für mich richtig – die ganze Strecke war nicht drin und auf 10-20 km mehr (unter vollem Einsatz) kam es diesmal nicht an. So bin ich heute (und morgen auf der Arbeit – die Patienten und Kollegen werden es danken) halbwegs fit, auch vom Kopf her.

bei Arnouvaz

Noch etwas zuletzt?
Ja! Glückwunsch und Respekt an alle Finisher – Ihr habt Großes geleistet! Wie viele habe ich kämpfen gesehen, die Grenzen erreichen und überschreiten, nicht wenige unter Tränen aufgeben. Allein der Aufstieg von Courmayeur zum Refuge Bertone wird in Erinnerung bleiben: über 30°C, 800hm in steinigen Serpentinen hinauf, in jedem Fleck Schatten lagt Ihr (auweia, hatte ich schlechtes Gewissen, besser hinauf zu kommen!), 75km in den Beinen, erschöpft und unter der Hitze leidend. Genug zu trinken war ultrawichtig, aber das normale Trinkwasser konnte keiner mehr sehen, so viele Liter habt Ihr bereits getrunken (und immer noch zu wenig!)… In jeden Bach, jede Pfütze habt Ihr Eure Mützen getaucht, um Eure Köpfe abzukühlen… Den Grand Col Ferret und tausend andere Anstiege habt Ihr bewältigt, als ich bereits im Shuttlebus zurück nach Chamonix saß… Und wie viele von Euch kämpften bis zuletzt, um die Zeitlimits zu schaffen (das war das Beeindruckendste, was ich sah!) – Ihr seid gerannt wie wild für das, was den anderen, die insgesamt etwas schneller waren, quasi geschenkt wurde! Chapeau, alle Achtung, genießt den Finish und die Erholung danach!

Anna, diesmal „did not finish“