Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Dovrefjell 03/2013

 28.02-10.03.2013

 Nach Erfahrungen letztes Jahres wusste ich genau, wie meine nächste Wintertour werden soll: WALDFREI.  Außerdem sollten Anreise und Einstieg möglichst kurz, nur wenig Zivilisation und eine gewisse Nordlichtwahrscheinlichkeit vorhanden sein.  Das machte meinem Partner und mir die Wahl nicht allzu schwer. Dovrefjell lockte mit loipenfreier Landschaft, Snohetta als höchstem Gipfel Norwegens außerhalb von Jotunheimen und Moschusochsen,  die wir sehr zu sehen hofften. 

einsames Lager im Fjell

Start

So trafen wir uns eines Abends in Oslo, wo mein Partner bereits Brennstoff besorgt und mir dadurch eine ideale Anreise erlaubt hat: Um 19 Uhr Flug aus Deutschland, Zug direkt vom Flughafen und am frühen Morgen am Startpunkt. Mit nur einem Hacken: Sturmwarnung für Fjell direkt für die ersten Tage und mehrere Personen, die uns während der Anreise davor abgeraten haben, „ bei dem Wetter in die Berge zu gehen“.

1. Tag

Der Zugbegleiter fragte, ob wir uns sicher sind, aussteigen zu wollen,  ließ uns dann raus, stemmte sich gegen den Wind und sprang schnell wieder in den Zug. Es blies.

Nach ein paar Stunden Dösen wagten wir uns hinaus, erkundeten die Gegend und urteilten „ungemütlich, aber wanderbar“.  Tatsächlich ließ der Wind stark nach und blieb den ganzen Tag gut erträglich.

 Der befürchtete erste Aufstieg war unproblematisch und wir machten sogar, dem Rat eines Einheimischen folgend, einen kleinen Umweg über Tverrfjellet (Hügel), von wo die Chancen sehr gut waren, Moschusochsen zu sehen. Das ist uns leider nicht geglückt, dafür bewunderten wir „Snohetta view“ – einen futuristischen Bau auf dem Gipfel mit großem Panoramafenster und Kamin drinnen…abgeschlossen natürlich. Später erfuhren wir, dass es ein der vier norwegischen Projekte war, die 2009 auf der Architektur-Biennale in St. Petersburg vorgestellt wurden. Der Bau ist so verführerisch luxuriös, dass er nicht einmal in dieser kargen Landschaft das Auge stört!

tagsüber blieb das Wetter ganz gut

Weiter ging es ins nächste Tal runter, wo wir endlich richtig im Fjell und ganz allein waren. Ihr fragt sich, wie ich, absolute Skianfängerin, dort runter kam? Zu Fuß 🙂

Fjell. Weites, weißes. Trotz wechselhaften Wetters sahen wir an diesem einen Tag mehr (und vor allem mehr Sonne!), als in ganzen zwei Wochen letztes Jahr.  Das Tal war weit und flach, wir gewöhnten uns langsam an den Untergrund und das Gepäck und nahmen uns ausreichend Zeit, das Zelt ordentlich aufzubauen – die Sturmwarnung war noch nicht vergessen und davor habe ich im Fjell viel Respekt.

Essen, hinlegen, ade.

Tag 2

Tropf………..tropf………tropf-tropf-tropf-tropf-tropf……….tropf

Bei +/-0°C regnete es im Zelt und bei jeder Windböe kam ein extra Schauer… Dass wir heute nichts machen, war schon in der Nacht klar, auch wenn die Hoffnung bestand, dass es tagsüber wieder besser wird.

Schlechtwetter im Fjell – recht ungemütlich

Wetterstation in Hjerkinn spricht von stärksten Böen tagsüber von 9Bft (später mehr). Ob wir so viel hatten, sei dahingestellt; man konnte sich 3-5m vom Zelt entfernen, musste aber ab dann mit der Sicht aufpassen. Daher beschränkten sich unsere Aktivitäten auf Schneeschmelzen, Tee kochen, Essen und schlafen. Schlechtwetter mit gutem Nebeneffekt: Ausgeschlafen, hurra!!!!!

Tag 3

 Der Boden bebt, was ist los???  Beunruhigt, suche ich nach der Ursache. Und finde sie schnell: Aliens greifen an! Das Haus fällt zusammen!!! Ergo: Es ist eh alles vorbei, ich brauche nicht aufzustehen…

Ah, ok, war wieder eine stärkere Böe. Bin aufgewacht.

Der Wind wurde in der Nacht stärker und zeitweise machten wir uns ernsthafte Gedanken um das Zelt. Die Lautstärke erreichte die eines vorbeifahrenden ICEs. Bereits am Abend fingen wir an, das Zelt regelmäßig auszugraben, um das Gestänge etwas zu entlasten. Dem Zelt (Kaitum 2) kann man aber eigentlich nur Komplimente machen – es stand selbst nach 36h Sturm wie eine eins!

Als ich mitten in der Nacht zu meiner Ausgraben-Schicht raus kam, passierte etwas, was ich in dem Umfang bis jetzt nur von den anderen kannte und jetzt beeindruckend fand: Der Kreislauf  machte schlapp. Ich hatte schon 2/3 des Geplanten getan, als sich alles zu drehen anfing. Setzte mich hin, voll im Wind – es war egal, Hauptsache runter.  Da es nach wenigen Augenblicken trotz Schweißausbruch richtig kalt wurde (Wind), kroch ich auf allen Vieren um das Zelt herum in die Apsis, machte zu und legte mich dort irgendwie auf die Sachen. Fünf Minuten später war alles wieder ok. Fazit: Aufstehen+geplante Anstrengung+Kälte-> langsam anfahren.

(fast) Startbereit nach 36h Liegen

Heute konnten wir wieder los und die Etappe war abwechslungsreich und schön. Immer noch beachtliche Wind und Schneeflug machten sie etwas ungemütlich, aber wir sahen die ganze Schönheit des winterlichen Fjells, spürten seine Macht und waren begeistert. Berglandschaft in der sich gelegentlich zeigenden Sonne und bei Schneedrift unten sah phantastisch aus. Als wir Grisungvatni (Seen) querten, stieg die Windstärke wieder an. Nach einem kurzen Kampf entschieden wir, auf Nummer sicher zu gehen und den Tag zu beenden. Noch war es uns ausreichend warm und das Zelt wurde problemlos aufgestellt – lieber so als etwas später in Not. Zum Abend hin wurde es aber ruhiger und wir genossen sogar etwas Sonne.

Kein Weg, kein Geräusch außer das des Windes, keine Farbe außer Schneeweiß – und wir.

Tag 4

 Wind… Er beginnt uns zu verfolgen. Ein einmaliger Morgen, dann aber ein grauer Schlechtwettertag – und dazu die anspruchsvollste Etappe der ganzen Tour.

im Wind über die Seen

Nach der Abfahrt ins Gronadalen (ich fiel übrigens immer noch bei jeder Gelegenheit – und auch ohne – hin) nahmen wir nicht das größere Mjogsjodalen, sondern das Kjelgsungdalen, das eng zwischen den Bergen eingequetscht liegt und wo mehrere Steilstufen zu meistern sind. Trotz jeweils nicht mal/gerade mal dreistelligen Höhenmeterzahlen kostete es uns ordentlich Energie, deswegen zelteten wir bereits kurz vor dem Abstieg ins Amotsdalen. Das Ziel war trotzdem erreicht und wir stolz darauf!

Wann hört dieser Wind auf???

die letzte Steilstufe. Anstrengend.

Tag 5

 Ruhige, leise(!!!) Nacht, etwas weniger Kondenswasser im Zelt. Gegen Morgen wurde es sehr warm – der Himmel war wieder bedeckt – bei unseren feuchten Schlafsäcken war es aber gar nicht soo verkehrt. Der Weg war schön. Teilweise mussten wir zwar unerwartet tief spuren, die Sicht auf und die Abfahrt in Amotsdalen waren aber einfach herrlich. Ja, die Abfahrt auch 🙂 Und ich habe die ersten zwei Kurven meines Lebens unfallfrei hingekriegt!

aussichtsreicher Weg ins Tal

Die Sonne zeigte sich regelmäßig, der Wind kam – oh Wunder! – immer mehr von hinten (bis jetzt gingen wir immer genau dagegen). Wir querten Langvatnet im Amotsdalen in Längsrichtung und erharschten den ersten Blick auf Snohetta (2283m), der sich von dieser Seite recht alpin präsentiert.

Das Ziel der Etappe war die Amotsdalhytta, die wir wie geplant nach fünf Tagen erreichten. Mein Partner besorgte im Voraus einen Schlüssel und wir machten es uns in einem der Gasträume gemütlich. Am Abend wurde gegessen, gegessen und noch einmal gegessen, bevor es gegen unglaublich späte 23 Uhr ins Bett ging.

Tag 6

Wollen wir? Wollen wir nicht? Ist doch schön draußen, oder? Nur wieder der WINNNNNDDDDDD…

In der Nacht hat es gestürmt und auch jetzt noch war die Schneedrift beachtlich. Wir ließen uns Zeit beim Frühstücken und zögerten lange mit dem Rausgehen. Irgendwann war die Entscheidung getroffen: Der Ofen wurde wieder angemacht.  Hätten wir gezeltet, wären wir weiter gezogen, so freute man sich aber über eine windstille Zuflucht.

rausgehen? nee 🙂

Die Hütte ist schön gelegen, aber für zwei Personen viel zu groß und entsprechend kalt. Ich suchte vergeblich nach einer Gitarre….  Also vertrieben wir Zeit mit Lesen und Essen, außerdem verabschiedete ich mich schon sehr früh ins Bett.

Tag 7

Blauer Himmel, kein Wind – besser geht es nicht!!! Der bald nach dem Start beginnende Aufstieg sah sofort viel harmloser aus, der Snohetta war nur einen Sprung entfernt und gestern aufgefüllte Energiespeicher brechend voll. Bis ich plötzlich schön flach auf den Bauch fiel, Kameratasche unter dem Rippenbogen.

Ein Blick zu meinem Partner, der seinen eigenen Pfad bergauf bannte, verriet, was los war: Unter dünner Triebschneedecke war blankes Eis. Auf diesem Hang hatten wir noch viel Spaß, perfektionierten das Skikanten, übten uns im Teamwork und lernten den Schnee zu lesen. Snohetta rückte dabei immer weiter in die Ferne, weil die Zeit fortschritt.

Skier auf dem Rücken – irgendwas stimmt hier nicht (Eis)

Oben auf dem Sattel (ca. 1600m) beschließen wir, trotz bereits 13 Uhr Snohetta zu versuchen. Dafür wurden Skier und Pulken unten deponiert und wir machten uns auf den Weg übers angeschneite Geröll. Auf etwa 2000m wurde der Hang jedoch steiler und da er schon im Schatten lag, war der Schnee sehr hart und kaum griffig. 200hm unter dem Gipfel (den man schön in Sonne glänzen sehen konnte!) gaben wir auf und stiegen zu den Sachen ab.

unterwegs nach Reinheimen

Nach diesem Bergausflug ging es runter nach Reinheimen (Hütte). Die flache Abfahrt dorthin war genial, die niedrig stehende Sonne beleuchtete alles mit goldenem Licht… Ab und zu bekamen wir aber wieder mit Eisflächen zu tun und ich nutzte jede Gelegenheit, mich dort auszustrecken. Insgesamt waren Ski aber schon fast angewachsen an die Füße.

In der Hütte trafen wir auf zwei Holländer und einen Österreicher, der seit langem in Norwegen lebt und dort als Guide arbeitet. Trotz der netten Gesellschaft wollte ich aber nicht wieder in eine Hütte und verabschiedete mich mit dem Schlaf- und Biwaksack unter die Milchstraße; mit dem Gesicht Richtung Norden natürlich.

Tag 8

Es ist kaum zu fassen. Das gibt es ja eigentlich doch gar nicht. Nein, wirklich nicht. Aber…er ist doch wirklich blau, oder?

Jedes Mal, wenn ich in der Nacht Augen öffnete, leuchteten Millionen Sterne entgegen.  Biwaksack hielt den leichten Wind ab, im Schlafsack war es kuschelig warm, Thermometer zeigte -20°C. Und nun wachte ich unmittelbar vor dem Sonnenaufgang auf – und der Himmel versprach noch einen perfekten Tag.

Die Hüttenbewohner waren bereits wach und wollten auf den Snohetta. Auch wir packten Tagesrucksäcke, denn von dieser Seite schien der Aufstieg viel weniger steil (Normalweg im Winter). So ganz einfach waren manche Stellen dann trotzdem nicht – ich wünschte mir schon manchmal Steigeisen und Pickel statt nur Stahlkanten als einzigen Halt auf dem fest verharschten Hang. Insgesamt ging es aber überraschend gut und wir gewannen nach und nach Vertrauen in die Ski.

was will man mehr???

Die Aussicht… die war unbeschreiblich. Rondane, Jotunheimen und alles dazwischen lag wie auf eigener Handfläche. 1000hm puren Genuss.

zugebauter Gipfel

Auf dem Gipfel trafen wir auf eine Vierergruppe – Studenten aus Oslo, die eigentlich aus Deutschland, Kanada, USA und Spanien stammten und nun auf „friluftslivtur“ waren. Nach ein paar Fotos und einem Spaziergang zum nicht zugebauten Nebengipfel (auf dem Hauptgipfel steht eine Radiostation der Armee samt Dieselgenerator) bereiteten wir uns auf den Abstieg vor: Skier an den Rucksack schnallen, fertig, los. Skibergsteigen mal anders 🙂 Unten traute ich mich wieder auf die Latten und fuhr mit Fellen sogar halbwegs passabel ein Stück ab.

Abfahrt– nein, Abstiegsbereit!

Nach diesem tollen Tag blieb uns „nur noch“, über den weiteren Weg einig zu werden. Im Endeffekt schafften wir es, zu einem Kompromiss zu kommen und entschlossen uns, für die Nacht in der (nun sehr vollen, da WE und schönes Wetter) Hütte zu bleiben, morgen aber beim Ausstieg ein paar extra Kilometer zu machen.

Tag 9

Berge als Windschutz, Milchstraße als Nachtleuchte, Sonne als Wecker…

Blau, blau, BLAU!!! Das Wetter ist genauso schön wie schon in den letzten Tagen, das ist ja ein Geschenk! Ich muss wieder an das letzte Jahr denken: Jede nach Schneefall, jeder Tag grau, drei Mal kurz Sonne gesehen in zwei Wochen.

Erst ging es flach runter über eine „kvistet“-Route.  Kurz vor Kongsvold, wo wir bei schlechterem Wetter aussteigen wollten, bogen wir aber nach Süden ab und querten noch eine Hochebene zurück nach Hjerkinn. Hier sollten die Chancen sehr gut sein, Moschusochsen zu sehen, wir sahen aber trotz erhöhter Aufmerksamkeit keine.

Letzte Kilometer vor der Zivilisation

Es ging zurück. Eine letzte Pause in strahlender Sonne, schon sind die Bauten von Hjerkinn zu erkennen. Letzter Hügel. Ein Schneeschuhläufer (nicht -„geher“) steigt dicht an einem Lawinenkegel auf einen Gipfel und fast senkrecht in Falllinie runter. Die Gedanken gehen nach Hause, auf die Arbeit, zu den weiteren Touren. Gleich müssen wir noch mal abfahren, der Schnee sieht aber weich aus.

Plötzlich höre ich  Flüstern: Links am Baum Moschusochsen! Und tatsächlich, zwei der Riesen haben es sich zwischen den Steinen gemütlich gemacht, gerade mal 30m von uns entfernt! Kameras werden gezückt, doch plötzlich setzt sich der ganze Hang mit entsprechendem Geräusch (siehe unten) und die Tiere werden auf uns aufmerksam. Rote Jacke, rote Hose, roter Schlitten und lausiges Skifahren – hm.  Ich mache mich vorsichtig auf den Weg runter und beobachte die mich beobachtenden Ochsen dann lieber mit etwas mehr Abstand.

Moschusochsen!!!!!!

Damit haben wir noch einen Punkt „abgehackt“ – diese beeindruckenden Urtiere zu sehen war ein der letzten Wünsche, die noch offen blieben. Dass wir diesmal keine Nordlichter gesehen haben war zwar schade, wird aber sicher nächstes Mal nachgeholt.

Zum Sonnenuntergang erreichten wir Hjerkinn. Machten noch einen (erfolglosen was Einkaufen angeht) Spaziergang durch den Ort und versteckten uns vor der Abendkälte im Bahnhofsgebäude. Der nächste Zug gen Süden war unser…

Amotsdal mit der Hütte von oben – Größenverhältnisse sind beeindruckend!

4 thoughts on “Dovrefjell 03/2013

    1. Hallo Oswald, in meinem Kommentar steht „die Fälle blieben die kompletten zwei Wochen dran“, es soll aber natürlich heißen „Felle“ statt „Fälle“. Danke für den Hinweis.

  1. Hallo Zeltgespenst,

    Eine tolle Tour habt ihr da gemacht. Ich plane diese Osterferien zusammen mit meinem Sohn (15) im Dovrefjell oder Rondane eine ähnliche Tour. Eine Frage: hattet ihr Ski mit Steigschuppen oder zum Wachsen dabei, bzw. was könntest Du empfehlen.

    Grüße,
    Matthias

    1. Hallo Matthias,

      danke sehr 🙂 Sorry für die späte Antwort, war zwischendurch immer wieder unterwegs..

      Wir hatten Schuppenski mit. Bei der Tour in Rondane wäre das aber auch egal gewesen, denn die Fälle blieben die kompletten zwei Wochen dran. Das hat den Vorteil, dass sie einerseits gut kleben (wir übernachteten zwei Wochen im Zelt) und andererseits, dass man auch mit etwas schwererem Schlitten, der bergab ordentlich schiebt, halbwegs sicher runter kommt.

      Wünsche Euch eine schöne Tour!!!

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