Zeltgespenst

…ist unterwegs!

Komfortzone – am Rand

Es gibt Menschen, die auf eine mittelwarme achtstündige Tour vier Liter Wasser mitnehmen. Und es gibt welche, die auf der gleichen Tour von ihrem halben Liter am Ende auch noch etwas abgeben. Es gibt viele, die über messerscharfe Grate spazieren gehen – und dann gibt es mich, die da höchstens drüber kriecht. Nun stellt sich die Frage: Was ist sinnvoll und trainierbar, wann wird es leichtsinnig und wann begibt man sich in Gefahr?

An sich ganz schön… solange ich mich nicht bewegen muss

Auf solche Fragen treffen wir in allen Lebensbereichen. Wie lange muss ich schlafen, damit ich leistungsfähig bleibe? Bei welcher Temperatur macht es noch Spaß, draußen zu klettern? Wenn ich für 2000hm 6h brauche, kann ich für 4000hm 12h einplanen – oder doch nicht? Und was wirkt sich dabei positiv oder negativ aus?

„Man muss wissen, wie weit man zu weit gehen kann“ – dieser Spruch fasst meine Sichtweise auf die eigenen Ressourcen bestens zusammen. Was machen der Kopf und der Körper mit, wann streiken sie und was brauchen wir, um zu einem Kompromiss zu kommen? Um es herauszufinden, begebe ich mich immer wieder freiwillig auf die Aufklärungsmission, am besten unter realistischen, aber nicht gefährlichen Bedingungen.

Lange Strecke, genügend Höhenmeter, Regen ohne Ende, maximal 90h Zeit, keine Erfarung. Hat funktioniert!

Wir nehmen ein anderes Beispiel – das Essen. Es gibt kaum einen Menschen, der keine Fettreserve für einen Tag ohne Kaloriennachschub hat (bei mir würde es wohl für 1-2 Monate reichen…) und dennoch stellen wir die Snacks ins Zentrum unserer Aufmerksamkeit auf Tour. Was passiert nun, wenn wir es nicht haben?

Ich habe nicht gefrühstückt und habe spätestens nach 2-3 Stunden Wanderns Hunger. Normalerweise würde ich mir jetzt zwei belegte Brötchen und einen süßen Milchkaffee gönnen. Geschwindigkeit: 5km/h

  • „Ich will nicht mehr“

Was für eine Schnapsidee! 20km in vier Stunden zurückgelegt, ab nach Hause und unterwegs eine Bäckerei kapern! 4km/h

  • „Ich kann nicht mehr“

Ich habe keine Kraft mehr, mir ist schwindelig, ich komme hier nicht raus und sterbe hier im Wald, wenn sich der Pizzalieferdienst nicht beeilt! 3km/h

  • a) Ok, eigentlich geht es schon noch, ich habe nur nicht wirklich Lust. 4,5km/h
     -> alles gut, Erfahrung gewonnen, nächstes Mal keine Panik schieben und vielleicht sogar bewusst weniger Snacks einpacken, wenn die Aussicht auf ein gutes Abendessen besteht
  • b) Holla die Waldfee, die Berge um mich herum wackeln ganz lustig, blöd nur, dass ich gerade einen steilen Grat abklettern muss
    -> suboptimal ?, Notfallriegel raus und beim nächsten Mal einen Gang zurück schalten
….dabei waren es nur 2500hm 🙂 Foto Frank N.

So ist es auch mit vielen anderen Dingen. Man testet aus, unter welcher Belastung man nicht mehr adäquat konzentrationsfähig ist. Wie kalt die Finger oder die Füße sein müssen, damit man nicht mehr sicher klettern kann oder wie müde die Unterarme sein dürfen, damit man trotzdem noch einen Friend setzen und/oder das Seil in die Express-Schlinge einklippen kann. Man findet heraus, ob ein Zustieg im Geröll mit Trailrunnern funktioniert und vielleicht sogar besser geht als mit schweren Stiefeln – oder ob die Gelenke es nicht vertragen. Erfährt, in wie weit ein zu leichter Schlafsack oder Isomatte unterwegs aufgepimpt werden können und mit welcher Wärme man durch die Daunenjacke rechnen kann – usw. usf..

Antworten, die man im Rahmen solcher (in aller Regel) harmloser Experimente bekommt, sind manchmal überraschend. So weiß ich inzwischen zum Beispiel, dass ich mich bei Schlechtwetter wesentlich früher anziehen muss, als der Körper „Jacke an!“ anordnet – sonst kühle ich trotz Bewegung und subjektiven Wohlbefinden bis zur Handlungsunfähigkeit aus. Andererseits plane ich schon mal die gesamten 24h eines Tages aus – nur weil ich weiß, dass es für mich (kurzfristig) funktioniert.

noch scheint sie putzmunter zu sein, bald geht aufgrund der Kälte aber nichts mehr

Zu wissen, wie groß die Pufferzone zwischen dem „ich will nicht mehr“, dem „ich kann nicht mehr“ und dem eigentlichen Licht-aus ist, bedeutet meiner Meinung nach einen nicht zu unterschätzenden Gewinn an Bewegungsfreiheit und Sicherheit. Man verteilt die begrenzten Ressourcen anders, braucht nicht den mehrfachen Doppelboden und ist dadurch schneller und somit wiederum sicherer. Und ist es nicht sowieso natürlich wissen zu wollen, was das wunderbare uns gegebene Gerät – unser Körper – alles kann? Also: Raus aus den Federn, Erfahrungen sammeln – und schnell zurück!

-25°C, im Schlafsack mitten im nirgendwo – Komfortzone pur.

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