Zeltgespenst

…ist unterwegs!

WiBoLT 320km/ 11700hm

Mai 2013

„….und was mache ich jetzt?“

Seit fast einem Jahr dachte ich, ich würde es 2013 endlich nach Biel schaffen und die so viele inspirierenden „Bieler 100“ machen. Meine erste Ultrastrecke, die ich weitestgehend zu laufen hoffte – dachte ich zumindest früher, bevor die Vorbereitung auf ganze zwölf Wochen geschrumpft ist. Nun bin ich aber ungeplant früh aus der Schweiz zurück und extra für 100km fahre ich dort sicher nicht wieder hin. Also: Was mache ich jetzt?

laufen hoch über dem Rhein - Foto von früher
laufen hoch über dem Rhein

Idee A:  Ein Marathon.  Aber bis zum Bonner ist es zu knapp und auch der  Düsseldorfer ist  in nur drei Wochen. Also nicht.

Idee B: 100km. Keine Chance, alles zu weit.

Idee…nein, das ist keine Idee. Vergiss es.

neue Wege gehen - Lauffrühling begann in der Schweiz
neue Wege gehen – Lauffrühling begann in der Schweiz
Berner Oberland - ein Trail-Paradies!
Berner Oberland – ein Trail-Paradies!

„Willkommen beim Projekt WiBoLT“ – Oh nein. Habe ich tatsächlich geschrieben, ich würde gern und so…? Und wenn ja, wie kommt es, dass ich einen Startplatz bekam???

JUHUUYIPPIYEAHHH!!!!!!

erste Vorbereitungsstunden am Rhein
erste Vorbereitungsstunden am Rhein

Wie lange noch? Acht Wochen, die müssen doch reichen. Wenn alles gut geht, kann ich immer noch mehr schaffen, als vor dem kleinen KoBoLT, als ich in den letzten vier Wochen eine dicke rote Kilometer-Null aufschreiben musste. Und im Winter hab ich mich schließlich auch bewegt. Zumindest im Kraftraum.

Also, fangen wir mal mit der Vorbereitung an.  „Stell dir vor, du stehst am Start. Reg dich nicht auf. Lauf laaangsam los, es wird sich schon alles sortieren. Lass die anderen Wildschweine verscheuchen – Moment mal, Wildschweinbegegnungen sind schon Lektion Nummer zwei“

Neu-Neuwiederin Anna. Klingt nicht nur gut – ist es auch. Nach dem Praktikum in den Zug,  irgendwo aussteigen, hoch zum Rheinsteig und 2-3h die Gegend erkunden. Am Wochenende mit schlechtem Gewissen wandern statt rudern gehen. Und immer wieder lieblings-Sauconys flicken,  damit sie noch ein paar Km halten.

Abends über dem Rhein - jedes mal ein Miniurlaub!
Abends über dem Rhein – jedes mal ein Miniurlaub!

„Lektion drei. Es ist Nacht und du hast dich verlaufen. Bist du müde? Richtig, bist du nicht. Du drehst hurtig um und suchst die letzte Markierung.“

die Zeit vergeht...-bald geht es los!!! Hier beim Training auf dem Rheinsteig
die Zeit vergeht…-bald geht es los!!! Hier beim Training auf dem Rheinsteig

Donnerstag davor: Letzte 20km auf dem nun gut bekannten Rheinsteig. Laut lachend, Arme ausgebreitet, glücklich. Und mit leiser Vorahnung, wie matschig das Ganze werden kann.

Samstag davor: Eine tolle Wanderung mit dem Alpenverein, für viele eine Art letzte Konditionsprüfung vor der Sommerbergsaison. Ich bin 1) todmüde und habe 2) jede Menge Blasen.

Dienstag davor: Bin schon wieder nach dem Wassertraining viel zu spät zu Hause, Ausschlafen wir auf nach dem WiBoLT verschoben.

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„Ich will!“

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Mittagessen in der Kantine, schnell gepackte Sachen zu Hause abholen, den Zug fast verpassen, doch rechtzeitig ankommen. Jemand meint, ich sei so ruhig – naja, wenn man so schlaaaaafen will…

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am Start (Foto: WiBoLT)
Start am Schloss Biebrich (Foto: WiBoLT)

Alles ist gut. Es regnet nicht, die Stimmung ist schön, die ersten Kilometer flach und trocken. Ich lerne einen polnischen Chirurgen kennen und wir unterhalten uns bis der erste Matsch mehr Konzentration verlangt. Und nun kommt es: Nasse Füße und jede Menge Erdklumpen in den Schuhen. Nach 6km, herrlich. Weiter geht es durch eine eigentlich schöne Gegend bei perfektem Wetter, aber der Schlamm ist anstrengend und ich habe keine Lust. Ich dachte, das wäre ein Lauf? Und was mache ich, 4km/h?

Start! (Foto: WiBoLT)
Start! (Foto: WiBoLT)

Schlangenbad, erste kleine Verpflegungsstation (KM 17). Viele Menschen, genug zu trinken, etwas Essbares. Schnell weg von hier, keine Sekunde des Tageslichts verlieren!

Ankunft am Schangenbad, vor mir die zukünftige Erste (Renske)
Ankunft am Schangenbad, vor mir die zukünftige Erste (Renske)

Feldwege, wo Wasser steht, stören nicht mehr. Laufe mittendurch – es macht nichts mehr aus. Nach einer extremen Rutschpartie am Waldrand treffe ich auf mehrere Läufer, die sich gerade nachtklar machen. Drei von ihnen sind schnell wieder vor mir – und verpassen einen Abzweig. Ich rufe ihnen, sie seien falsch, und in zwei Minuten sind sie wieder vor mir und biegen erneut falsch ab. Ich hole sie wieder zurück. Nun drosseln sie ein wenig das Tempo und ich kann mithalten. Mal sehen wie lange!

Die nächsten Stunden vergehen in einem angenehmen Flow.  Nie im Leben hätte ich geglaubt, mit z.B. TorTour de Ruhr –Finishern nur ein paar Km zusammen zu laufen. Nun sind wir aber super unterwegs und die nächste mir bekannte Kilometerangabe ist „48“ – das schon bekannte Tief der ersten 25km ist vorbei und ich kann mich nicht beschweren.  Am VP54km wartet eine schöne Überraschung in Form von Essen auf uns (geplant war nur Trinken);  ich nehme außerdem den angebotenen Becher mit warmer Brühe dankbar an. Von wem? (Noch) Keine Ahnung. Weiter!

Unangenehm – unangenehmer – AUA. Zweifel bestehen nicht: Es wird gleich wieder alles gut.  Kein Umknicken, keine harte Landung, keine zu lange Strecke – wir haben gerade erst 65km – kein Grund zur Panik, es geht gleich vorbei.

…oder auch nicht. Eine kleine Pause hilft nicht, meine drei verschwinden im Morgengrauen und ich hinke mit einem kranken Fuß irritiert durch die Gegend. Es geht wirklich nicht viel und so beginne ich zu realisieren, dass es höchstwahrscheinlich ein Aus bedeutet.  ABER-DOCH-NICHT-NACH-65km!

Beleidigt, versuche ich weiter zu gehen. Klar schaue ich den mich Überholenden gern beim Laufen zu und – hinterher. Und noch klarer – vor Loreley wird der Rheinsteig mich nicht los. Noch 40km.

In Lorch (KM 75) bin ich deprimiert und wütend zugleich. Später verblassen die Emotionen und lassen eine Konfrontation mit der Realität zu: Der Fuß schmerzt ganz eindeutig und ich habe noch eine ordentliche Wandertagesetappe vor mir. Was ist möglich? Was ist sinnvoll? Was ist vertretbar? Es verspricht sonnig zu werden, das Mittelrheintal liegt wunderschön im Morgennebel,  mir ist es aber im Moment ziemlich egal.

wunderschöne Aussichten, für die ich jetzt leider zu wenig übrig habe
wunderschöne Aussichten, für die ich jetzt leider zu wenig übrig habe

„Lieber Weihnachtsmann, ich brauche diesmal kein Spielzeug. Ich will weder essen noch trinken noch schlafen – ich will Ersatzfüße!“

15km vor Loreley holen mich Michael und Thomas nach einer Pause zum zweiten Mal ein,  bauen auf,  ziehen weiter. Kurz danach sehen wir uns wieder, als sie nach einer Steigung eine Pause einlegen – das ist gut, denn langsam macht sich die Verzweiflung breit. Jede zweite Bank ist meine…

Mittelrheintal (Foto von früher)

Für 40km werde ich neun Stunden brauchen. Als ich ankomme ist es aber trotzdem erst Mittag und damit noch nichts verloren. Trotz der tollen Betreuung seitens des „Menschen vom VP54km“ (danke Raimund!!!)  ist die Lage eher bescheiden – leichte Schwellung, aufzutreten ist kaum und abzurollen gar nicht möglich. Für mich ist es aus und vorbei – am  30. Mai um 12 Uhr.

Netterweise werde ich zum nächsten Bahnhof gebracht und bin eine Stunde später zu Hause. Nasse Schuhe fliegen wie sie sind in die Ecke, ich lege mich, enttäuscht und schlecht gelaunt, hin und schreibe Freunden, dass das Wochenende doch frei ist. Mehrere Stunden später muss ich aufstehen und erwarte verkrampft den gut bekannten Schmerz, doch es kommt – NICHTS. Auch nicht beim Abrollen oder sogar Hüpfen! Schneller Blick auf die Uhr – und ich rufe den Racedirektor an: „ Darf ich eventuell  weiter?“ – die Frage ist so unüblich (normalerweise geht das natürlich nicht!), dass es zur Pause kommt. Er: „Wenn du die Cut-Off-Zeit schaffst…“

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Um 23 Uhr bin ich wieder an der JHB Loreley und drehe erstmal eine 20min-Extrarunde um „alles genau kennen zu lernen“.

Und dann ist die Welt wieder in Ordnung – Nacht ist „meine“ Zeit. Burg Katz, Burg Maus, jede Menge Fuchsaugen, die das Licht meiner Stirnlampe reflektieren…Weit unten leuchten die Rheindörfer, Markierungen führen mich auf und ab über felsige Pfade und breite Feldwege. Etwa 1,5h nach dem Neubeginn sehe ich eine größere Schutzhütte und lege mich kurz schlafen, unter anderem, um den Fuß (der praktisch in Ordnung ist!) jetzt nicht zu überlasten.  Wecker auf in einer Stunde gestellt, nach 40min aufgewacht – kalt! Also weiter, noch ist es trocken und das sollte man ja nutzen.

Bald – gegen zwei Uhr – beginnt der Himmel, Wasser abzulassen. Meine Top-Hightech-Outdoor-Super-Markenjacke klebt sehr bald total durchnässt über dem einzigen T-Shirt. (Kurze Erinnerung: Ich wollte ja Sport machen und dabei friert man nicht). „Life is wonderful!“

„Unten im Tal ist der Wind sicher nicht so stark wie hier und irgendwann machen die Bäckereien auf…“ – der Schweinehund, der gemeine.

„Unten im Tal werden selbst Bahnhofshallen noch mehrere Stunden geschlossen sein. Willst du es warm haben – beweg dich!“

Es graut. Ich friere heftig und jogge extra die Anstiege, um mich etwas aufzuwärmen. Einmal lege ich mich unsanft und ganz knapp an einer Felskante hin; insgesamt geht die Kälte sehr auf die Nerven. Ab Kestert ist mir die Strecke bekannt, bei Hitze und Sonnenschein sah alles aber etwas anders aus. Später geht es durch prächtige, manchmal etwas eintönige Wälder, die einen aber damit unterhalten,  die Bäume auf den Weg zu werfen – einmal fiel ein kurz hinter mir hin, mit immensem Krach! Aufgrund von Dauerregen ist der Boden so aufgeweicht, dass die Wurzeln nicht halten – Ausnahmezustand in den Wäldern mit später gelesener Warnung, solche Hänge zu meiden. Hier sehe ich eine Walkerin, die einsam dem Wetter trotzt – seit gestern Abend ist sie der erste Mensch, den ich treffe. Wir unterhalten uns kurz, sie wünscht mir aber bald viel Glück und lässt sich zurückfallen.

nass
nass

Ein letzter Anstieg, dann noch die Burg – und dann kommt Braubach! Als sich die Euphorie breit macht, finde ich mich plötzlich im Schlamm liegend wieder. Und dann muss ich natürlich wieder die Gegend genauer erkunden… Außerdem: Ich bin spät dran, wird der VP überhaupt noch aufgebaut sein?

„Hi-hi, bestimmt sind sie alle schon weg, du darfst gleich genauso nass wie du bist weiterlaufen – so isses wenn man auf mich nicht hört!“ – „ HAU AB“

In Braubach warten nicht nur Organisator Michael, nette Helfer, trockene Räume, Essen und Tee, sondern auch ein paar Teilnehmer. Ich bin wieder mittendrin! Hat sich doch gelohnt, die Nacht!!!

Was kann man zum weiteren Weg sagen? Bähhhhh 🙂  Es regnet in Strömen und ich bewege mich nur, um nicht noch mehr zu frieren.  Highlights sind die wunderschöne Lahn und ein felsiger Aufstieg danach, der von den richtigen Bergen träumen lässt.

Koblenz, endlich!!! Na, jetzt geht es „nach Hause“. Die Hälfte der Strecke ist um und es sind nur noch 40km bis ich in den Schlafsack darf – was will man mehr?  Richtig, einen Tee. Aber in der Bäckerei gibt es nur Kaffee… Da muss ich durch.

Plötzlich kommt mir der Arzt aus Polen entgegen. „Mein GPS sagt etwas anderes als die Karte…“  Na, das Problem habe ich nicht – und weder GPS noch Karte. Wir folgen den Markierungen und bleiben 10km lang zusammen, die für mich aber zu einer bangen Zeit werden, weil es ihm immer schlechter geht. Dann erreichen wir aber sein Betreuungsauto und verabschieden uns. Ich freue mich auf die einfache Etappe, die ich gut zu kennen  meine, und rechne mir aus,  um kurz nach Mitternacht in Feldkirchen (ca. KM 230) anzukommen. Mittlerweile regnet es nicht mehr und das Ziel ist greifbar nah – die ein paar Stunden zu spazieren kriegt wohl jeder hin.

Aha. Klar. Ein paar Stunden. Pustekuchen.

Bei Sayn verpasse ich den Pfad, was mir erst nach gut 20 Minuten auffällt. Wie immer achte ich weniger auf die Markierungen wie auf mögliche Abzweige, die ich dann auf Rheinsteigzeichen absuche – und die gab es nicht. Seit gestern Abend habe ich 95km mit ca. 2h Pausen – musste das jetzt noch sein??? Das letzte Tageslicht brennt ab… „Lektion drei: Es ist Nacht und du hast dich verlaufen (…)“ Na gut, mach ich.

In Sayn werde ich netterweise zum etwas versteckten weiteren Weg gelotst. Dort treffe ich zum ersten Mal auf Jussi und Hartmut, da sie aber bald eine Pause einlegen, gehe weiter und hole Andreas und Frank ein. Übermütig wie ich bin,  ziehe ich aber bald wieder alleine weiter – bis ich auf einer Kreuzung stehe und trotz der vorhandenen Markierung nicht weiter weiß. 100m in eine Richtung – kein Zeichen. 100m in eine andere – dito.

„Du kannst doch nicht mehr, setz dich doch einfach hin und warte“

„Und dann? Ach was….gewonnen.“

Ich sitze mitten auf dem Weg bis Andreas und Frank mit GPS erscheinen und auf einen quasi unsichtbaren Pfad abbiegen. Der Schweinehund hatte Recht.

Die Pause hat gut getan und als sich die Jungs schlafen „legen“, schließe ich mich den gerade vorbei kommenden Jussi und Hartmut an. „Donnerwetter, hier waren wir doch gerade!“ – Jussi. Ja, wir haben es tatsächlich geschafft, in die gleiche Richtung zurück zu laufen, was mir wohl erst in Koblenz wieder aufgefallen wäre. Es ist spät, wahrscheinlich kurz vor Mitternacht, und wir haben noch jede Menge Kilometer vor uns – wie viele, wage ich nicht zu raten. Irgendwas stimmt hier mit den Angaben der Rheinsteigseite nicht; damit ist aber nichts zu machen, wir müssen weiter.

Jussi hat sehr zu kämpfen, Hartmut scheint aber noch fit zu sein und führt. Ich bin dankbar „fürs Spuren“ und reduziere jegliche Hirntätigkeit aufs „rechts-links-rechts-links – und bitte nicht stolpern“. Als der neue Tag anbricht, sind wir immer noch unterwegs und haben noch unglaubliche 10km vor uns.

„Du wohnst doch nur 5km von hier entfernt – willst du nicht nach Hause?“

„Klar, können wir machen. Aber willst du dann wieder hoch nach Feldkirchen? Wie nicht??“

Die sowieso großzügig angelegten Cut-Off-Zeiten wurden aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen verschoben und stellen kein Problem dar,  die Chancen in Bonn anzukommen schwinden aber mit der immer kürzer werdenden Zeit zum Schlafen in Feldkirchen. Deswegen entscheidet sich Hartmut jetzt schneller zu werden, während ich verspreche, noch einige Zeit mit Jussi zu bleiben. An seiner Stelle möchte ich jetzt wahrlich nicht sein… Trotz aller Bewunderung beschließe ich aber auch irgendwann etwas zügiger zu gehen – so kann ich zumindest jemanden informieren, dass es ihm nicht gut geht. Für die restlichen 4km brauche ich aber auch selber eine ganze Stunde.

Feldkirchen früher bei Sonne
Feldkirchen früher bei Sonne

Duschen, eine Stunde schlafen, dann ordnungsgemäß die Turnhalle räumen und weitere zwei Stunden im Essensraum chillen. Tee, Süßigkeiten, warmer Schlafsack – jede Sekunde geht es bergauf und die restlichen 88km scheinen fast harmlos.

Als allerletzte verlassen Andreas und ich die warme Unterkunft. Mit trockenen Füßen (alles gewechselt plus Mülltüten über Socken), auf festem, fast trockenem Untergrund geht es bei Abenteuergeschichten aus eigenem Leben schnell weiter, sodass wir bald mehrere vor uns Gestartete einholen. Ich freue mich wie ein Kind über die bekannte Gegend – habe das Frühjahr hier verbracht! – und fühle mich bestens.

Rheinbroler Ley, erster ordenticher Aufstieg nach Feldkirchen (Foto von früher)
Rheinbroler Ley, erster ordenticher Aufstieg nach Feldkirchen (Foto von früher)

Meinen Wasservorrat kurz vor Rheinbrohler Ley finde ich dort, wo ich ihn versteckt habe. Einen elektrischen Zaun erwartete ich aber nicht und wiederhole den Physikunterricht indem ich den Zaun beim Laufen mehrmals mit den Stöcken berühre. Hier bin ich bereits wieder alleine, weil Andreas seinen Partner eingeholt hat und mit ihm pausiert.

Linz, der letzte VP. Eine ganze halbe Stunde Ruhe vor dem Sturm. So viel essen wie irgendwie passt, Menschennähe genießen, loslegen, durchziehen. Fertig gespielt, ab nach Hause!

unerwartete Begegnung
unerwartete Begegnung

„Schlaafen….“

„Wie „schlafen“, wir sind gerade erst los nach der Pause!“

 

„Schlaaaaafen!“

„In Bonn.“

 

„Schlaaaaaaaaaafen!!!“

„Na gut, aber nicht bevor es ganz dunkel wird.“

Das Viech hat wieder gewonnen. Nicht einmal der Anstieg zur Erpeler Ley lässt den Stresspegel ansteigen und mich wach werden. Und dann schon wieder:

„ Schlaaafen….lass die Schleife zur Ley doch aus………“

„ Ich? Abkürzen???“

„Aber die bringt doch gar nichts, ist nur eine Runde mehr…“

„Die Aussicht ist schön und du bekommst 2min auf der Bank“

„Deal.“

20min später stehe ich wieder an derselben Kreuzung und nehme diesmal den Weg nach Erpel.

„Schau, da ist eine Bank, du wolltest doch die Schuhe neu schnüren – mach das im Sitzen“

„Na gut, ok“.

100m weiter:

„Schau, da ist eine Bank, du wolltest doch zur Nacht noch ein T-Shirt anziehen – mach das im Sitzen!“

„Hm, ok.“

Noch 100m:

„Schau, da ist eine Bank, …“

„ VERGISS ES!!!“

Siebengebirge nähert sich!
Siebengebirge nähert sich!

Zum Weg um Bad Honnef herum habe ich ein besonderes Verhältnis – und gut ist dieses sicherlich nicht. Hier gab beim Kobolt meine Lampe fast ihren Geist auf,  hier ziehen sich die absolut unspektakulären Forstwege unendlich und hier ist man nachts so einsam wie nirgendwo sonst auf dem Rheinsteig. Kein Lichtlein, keine Aussicht,  kein Menschenlebenszeichen. Nur leuchten mir immer wieder irgendwelche Augen entgegen und einmal komme ich an irgendeinem schlafenden Betreuerauto vorbei. Nun ist es definitiv tiefe Nacht und der Schweinehund beginnt wieder zu quengeln, ich hätte eine Schlafpause versprochen. Ich nutze aber die Nacht, wann er meist schwächelt, und versuche noch ein paar Kilometer zurück zu legen. Vorbei am „Auge Gottes„ , steigere ich das Tempo um mich ordentlich aufzuwärmen bevor ich mich hinlege, finde aber lange keinen Windschutz.

„Du hast versprochen!!!“

„Für die Bank ist es zu windig!“

„Egal…“

Die nächste Bank ist meine. Es macht keinen Sinn, so weiter zu machen, ich muss kurz schlafen. Falle auf die Seite, lasse den Rucksack an und bin im selben Augenblick weg. 40min später:

„ -zensiert- !“

„Du hast es selber gewollt, beweg dich nun!“

Fuß anheben – Bein anheben – Fuß vorne platzieren – Gewicht verlagern – anderen Fuß anheben. Steif und zitternd erscheinen die 40 verbleibenden Kilometer gleich doppelt so lang. Plötzlich merke ich aber, wie drei laut redende und lachende Stirnlampen auf mich zu stürmen und lasse mich gleich von der Energie von Carola, Hans-Peter und Markus anstecken. 40km noch? Kein Thema!

Mal schneller mal langsamer, mal leichter mal müder, aber immer gut gelaunt geht es dem Ziel entgegen. Wir laufen recht zügig, legen aber noch einige kleine Pausen ein, was mir erklärt, warum die drei mich erst so spät eingeholt haben. Das Siebengebirge ist mein Zuhause, einige Pfade erkenne ich aber trotzdem nicht – normalerweise sind wir hier spät abends, im Hellen sah ich sie noch nie…

im Siebengebirge
im Siebengebirge

Der Sonnenaufgang ist wunderschön, die Luft knackig kalt,  aber der neue Tag verspricht sonnig zu werden und ich werde sogar wach. Um die letzten Kilometer zu genießen fehlt nur noch eins: Neue Füße. Hans-Peter löst das Problem vorbildlich – er läuft einfach, so leicht und locker als ob wären wir gerade gestartet. Das steckt an und bald bewegen wir uns wie bei einem 10km-Lauf, begleitet vom ersten Bonn-Boten Andreas. Die Meter verschwinden. Ankommen unter 90h dürfte kein Problem sein. Home, sweet home.

letzte Kilometer auf der Bonner Rheinpromenade (Foto von früher)
letzte Kilometer auf der Bonner Rheinpromenade (Foto von früher)

Kurz vor Bonn holen wir noch jemanden ein. Nach einem kurzen Katze-Maus-Spiel schließen wir uns zusammen und legen die letzten Kilometer auf der Rheinpromenade gehend zurück. Hier holt uns Hartmut ein – wir sind zu sechst! SSF… Kennedybrücke…. Unterführung in die Innenstadt… WIR SIND DA!!!!!

geschafft!!!! (Foto: WiBoLT)

Tolle Stimmung, die es zu genießen gilt,  Fürsorge der Helfer,  Glückwünsche,  Lachen… So richtig kann ich es aber nicht aufnehmen und mache mich bald auf den Weg nach Hause. Bis zur wirklichen Ankunft werden aber noch Tage vergehen; der Schlafmangel ist so groß, dass wir/ich weder motorisch noch psychisch adäquat sind. Eine Woche lang werde ich noch ausschlafen…mehrere Wochen dauert es, bis der Fuß wieder ganz in Ordnung ist…und dann… dann sind auch die Schuhe wieder trocken.

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